Die Tortenbäckerin
meine Gründe.« Er war nicht gewillt, mehr zu verraten. Nicht zu diesem Zeitpunkt. Zuvor galt es, andere Dinge zu erledigen.
»Wahrscheinlich ein Kaffern-Liebchen«, sagte Friedrich mit süffisantem Lächeln. Mit seinem zurückweichenden Haaransatz und dem schwellenden Bauch wurde er dem Vater immer ähnlicher. »Die sollen ja ziemlich heiÃblütig sein. Neulich, auf der Völkerschau bei Hagenbecks, haben sie halbnackt vor den Leuten herumgetanzt. Könnte mir denken â¦Â«
Weiter kam er nicht, denn Christoph hatte ihm sein Wasserglas ins Gesicht geschüttet.
Friedrich sprang auf und machte Anstalten, auf seinen Bruder loszugehen.
Einzig ein Machtwort des Vaters hielt ihn zurück.
Mit einer Serviette wischte sich Friedrich das Wasser aus dem Gesicht. »Das zahle ich dir heim«, knurrte er.
»Nur zu. Aber vorher sollten wir uns einmal über unsere Moralvorstellungen unterhalten. Ich denke, die gehen weit auseinander.«
»Wovon zum Teufel redest du?«
»Friedrich!«, rief Freia Hansen aus. »MäÃige dich!«
»Verzeih, Mutter.« Er schwieg. Offenbar hatte er nicht verstanden, worauf Christoph angespielt hatte, doch er war auf der Hut.
Christoph suchte sich nun eine bequemere Stellung in seinem Lehnstuhl und seufzte tief. Er wollte nicht an Friedrich denken. Er wollte sich ein paar klug blickende Augen vorstellen, ein gütiges Gesicht, einen schönen, viel zu selten lachenden Mund. Ein Lächeln glitt auf seine Lippen, und er schloss für einen Moment die Lider.
»Du bist ja gar nicht zugedeckt!«
Greta kam herein, griff nach der heruntergerutschten Wolldecke zu seinen FüÃen und packte ihn warm ein. »Du musst besser auf dich aufpassen.«
Christoph grinste. »Ich bin schon viel gesünder, als du denkst.«
Ein Schatten flog über ihr Gesicht, und er dachte: Sie fürchtet sich immer noch. Sie hat Angst, ich könnte ihr zu nahe kommen. Ich oder irgendein anderer Mann. Er wünschte, er könnte ihr die Furcht nehmen. Doch das schien unmöglich. Nun, zumindest ein anderes Problem würde er hoffentlich für sie lösen können.
Christoph hatte sich selbst nie für einen besonders guten Menschen gehalten. Das einzig wirklich Nützliche, was er je zustande gebracht hatte, war, Greta zu helfen. Wobei er inzwischen Zweifel an seinen hehren Motiven bekommen hatte. War es nicht vielmehr so gewesen, dass er immer gehofft hatte, Greta möge seine Geliebte werden? Und hatte er das Kind nicht weit weg nach Barmbeck abgeschoben, ohne sich noch groà darum zu kümmern? Erst als Leni drei Jahre alt gewesen war, hatten die Gewissensbisse an ihm genagt. Damals hatte er damit begonnen, sie zweimal in der Woche zum gewohnten Treffpunkt im kleinen Park bringen zu lassen, selbst wenn Greta zu beschäftigt war, um mitzukommen. Er war erschrocken gewesen über den geringen Wortschatz und die schlechten Manieren der Kleinen, und er hatte sich alle Mühe gegeben, ihr gutes Sprechen und Benehmen beizubringen. Dennoch war ihm immer bewusst gewesen, dass alle Bemühungen in diese Richtung niemals genug sein konnten. Nun war Christoph entschlossen, das Unrecht wiedergutzumachen, das Greta erfahren hatte â von seinem Bruder, von seiner Mutter, jedoch auch von ihm selbst. Ja, er war in Afrika ein neuer Mensch geworden.
»Bist du wieder eingeschlafen?«
Er hatte erneut die Augen geschlossen.
Nun sah er auf. »Nein. Ich habe nur über etwas nachgedacht. Sag mir, hast du Leni untersuchen lassen?« Greta hatte ihm von Dr. Hausmanns Rat erzählt, und seitdem brannte Christoph darauf, zu erfahren, was die Hamburger Augenärzte zu Lenis Fall sagten. Ihm war, als könnte er auf diesem Weg bereits einen Teil seiner Schuld abladen.
Sie schüttelte den Kopf. »Es gab zu viel Arbeit. Ich habe für sechs Bankette gekocht und gebacken.«
»Du hast Angst«, stellte Christoph erbarmungslos fest. »Du willst dich lieber an einer winzigen Hoffnung festhalten, als die Wahrheit zu hören.«
Er bemerkte, wie sie zusammenzuckte.
»Das sagen Mathilde und Gerlinde auch. Aber es stimmt nicht. Sobald ich es schaffe, fahre ich mit Leni dorthin. Ich habe jetzt etwas Geld. Damit kann ich die Untersuchung bezahlen.« Greta hatte sich erkundigt. Es gab im Deutschen Reich zwar bereits seit dreizehn Jahren eine Sozialversicherung, aber da sie Leni bisher nirgendwo als ihr Kind gemeldet hatte,
Weitere Kostenlose Bücher