Die Tortenbäckerin
sie direkt am Stall von Oswald Lohmann vorbeikommen würde. Zu später Stunde, allein auf menschenleerer StraÃe. Einen Moment lang überlegte sie, zurück zu Siggo zu laufen, aber dann schalt sie sich selbst einen Feigling und ging weiter.
Seit Weihnachten, als Lohmann sie am Kirchhof bedroht hatte, war Greta ihm nur noch zweimal begegnet. Doch jedes Mal waren andere Menschen um sie herum gewesen, und sie hatte seinen bösen Blick mit einem frechen Grinsen erwidert. Jetzt war ihr nicht zum Lachen zumute, aber im Lohmann'schen Stall war alles dunkel, und Greta atmete auf. Sie war schon fast daran vorbei, als aus einer unbeleuchteten Nebengasse eine Gestalt heraustrat.
Greta unterdrückte nur mühsam einen Schrei. Als hätte er hier auf mich gewartet, dachte sie entsetzt. Dann erstsah sie den zweiten Mann, ebenso betrunken wie Oswald Lohmann, und begriff, dass sie aus einer Kneipe kamen. Der zweite Mann verdrückte sich in einen Hauseingang, aber Lohmann kam leicht torkelnd und nach Schnaps riechend auf sie zu.
Hundert Meter entfernt fluchte Siggo laut hörbar vor sich hin. Dass diese Frau aber auch immer ihren eigenen Kopf durchsetzen musste. So spät am Abend einfach allein loszulaufen! Bei dem Gesindel, dass sich zu dieser Uhrzeit herumtrieb. Wie konnte sie nur so leichtsinnig sein! Heftig zerrte er an der Fahrleine, aber Moritz folgte ihm nur langsam. Der Wallach hatte sichtlich Schmerzen und lahmte stark, Siggo jedoch zog ihn umbarmherzig weiter. Trotzdem kamen sie nur langsam voran, viel zu langsam. Greta war längst auÃer Sicht.
Oswald Lohmann starrte sie an. »Ein hübsches Täubchen, das mir mitten in der Nacht zufliegt. So etwas nenne ich Glück.«
Greta wollte weglaufen, stolperte über ihren Rocksaum, schlug lang hin, wurde hochgerissen und bekam auf einmal keine Luft mehr, als zwei Pranken sich wie Eisenringe um ihre Kehle legten.
Siggo!, schrie sie stumm. Siggo, hilf mir! Bevor sie das Bewusstsein verlor, hörte sie noch wie aus weiter Ferne einunrhythmisches Hufeklappern. Zu weit weg, dachte sie. Viel zu weit weg.
Siggo blieb stehen. Er hörte nichts. Aber er spürte etwas. Greta ist in Gefahr, schoss es ihm durch den Kopf. Er wollte sich selbst einen Idioten nennen, einen überempfindlichen, verliebten Idioten, aber sein Instinkt war stärker als alle Vernunft.
Er lieà Moritz los, hoffte, der Wallach würde entweder stehen bleiben oder samt dem Einspänner allein in den Stall trotten, und rannte los. Weit musste er nicht laufen, da erkannte er zwei Schatten an der Hauswand. Der eine, mächtige Schatten beugte sich über ⦠über Greta! Mit drei Sätzen war Siggo da, riss den Mann am Kragen zurück und donnerte ihm seine Faust ins Gesicht. Erst dann erkannte er, dass er Oswald Lohmann vor sich hatte. In blinder Wut wollte er auf den Mann einschlagen, aber ein röchelndes Geräusch lieà ihn schnell zur Besinnung kommen.
Siggo beugte sich zu Greta hinunter. Sie hatte die Augen geschlossen und rang nach Atem, aber sie lebte. Er nahm sie hoch und lief mit ihr nach Hause. Ihr Atem ging immer noch schwach, aber er spürte, dass sie sich entspannte. Als er mit dem Fuà gegen die Wohnungstür hieb, öffnete ihm seine Mutter.
Gerlinde stieà einen Schrei aus. »Um Gottes willen! Was ist geschehen?«
»Oswald Lohmann«, knurrte Siggo. »Er hätte sie um ein Haar umgebracht.«
Sie betteten Greta auf das Sofa, Gerlinde holte eineFlasche Weinbrand, die sie als eiserne Reserve in der Küche versteckt hatte, und flöÃte Greta mit einem Kaffeelöffel kleine Schlucke davon ein.
Endlich erwachte Greta aus ihrer Ohnmacht. Sie hustete, verschluckte sich, hustete erneut und schlug dann die Augen auf.
Angst stand darin, unendliche Angst, und von den drei Menschen im Raum erkannte nur Siggo, warum ihre Furcht so groà war: Als Lohmann über sie herfiel, hatte sich Greta zurückversetzt gefühlt zu dem Tag, an dem sie von Friedrich Hansen geschändet worden war. Er wollte zu ihr, ihre Hand nehmen, ihr einfach nur nah sein. Aber er rührte sich nicht. Siggo wusste nicht, ob er es hätte ertragen können, wenn Greta ihn mit derselben Angst in den Augen angesehen hätte
»Mein Sohn«, sagte Erik Freesen eine Stunde später mit ungewohnt lauter und klarer Stimme. »Tue das nicht. Du stürzt uns alle ins Unglück. Haben wir nicht schon genug mitgemacht?« Er kam gerade
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