Die Tortenbäckerin
Familie zu sorgen. Doch obwohl er so lange darauf gewartet hatte, Lohmann auszustechen, schmeckte sein Triumph nun bitter. Es war nichts Gutes daran, am Unglück eines anderen Menschen zu verdienen. Selbst wenn dieser ein schlechter Mensch war. Dennoch dachte Siggo pragmatisch und nahm die neue, gewaltige Aufgabe in Angriff.
Innerhalb von zwei Tagen hatte er seinen Fuhrpark erweitert und vier Männer neu eingestellt. Einer von ihnen war Carl Bremer, der bislang für Lohmann gearbeitet hatte. Er war der Einzige, dem Siggo einen vernünftigen Umgang mit den Pferden zutraute, denn er hatte nie beobachtet, dass Carl einen Gaul auspeitschte. Alle anderen Lohmann'schen Angestellten kannte er als brutal und rücksichtslos. Solche Männer würde er nicht auf seine kostbaren Pferde loslassen. Auch sein Vater wurde dringend im Geschäft gebraucht, und es schien, als hätte Erik Freesen nur auf diese neue Chance gewartet. Er war noch immer sehr schweigsam, manchmal geradezu in sich gekehrt, aber er schonte sich nicht und wurde dank der körperlichen Anforderungen mit jedem Tag stärker.
Zu seiner Ãberraschung stellte Siggo fest, dass Eriks Schwermut offenbar auch zu etwas gut gewesen war. Er ging jetzt sanfter mit den Pferden um, lieà die Peitsche unbenutzt und setzte sich trotzdem durch. Sieht so aus,dachte Siggo, als hätte Vater auch etwas von mir gelernt. Das machte ihn stolz, und er spürte, dass seine alte Unsicherheit mehr und mehr von ihm abfiel.
Gerlinde Freesen blühte auf, als sie sah, wie Ehemann und Sohn erfolgreich zusammenarbeiteten. Sie wirkte jünger, hielt sich gerade und summte bei der Hausarbeit manchmal ein Lied.
Siggos Tage waren nun von früh bis spät ausgefüllt, und er kam kaum mehr zum Schlafen. Selbst am Kaiser-Geburtstag arbeitete er. Während das deutsche Volk am 27. Januar den Feiertag genoss und seinen Herrscher mit Paraden, Festansprachen und Feiern in geschmückten StraÃen hochleben lieÃ, versorgte Siggo Kneipen und Gaststätten mit Wein-, Bier- und Rumfässern.
Gretas Bild begleitete ihn wie eine sanfte Erinnerung an einen wundervollen Traum, und beinahe unmerklich verblasste es. Doch seine Liebe zu ihr, das ahnte er, wartete nur darauf, erneut hell aufzulodern, sobald er sie wieder täglich zu einer Arbeitsstelle begleiten würde. Und weil er genau davor Angst hatte, schickte Siggo einen seiner neuen Kutscher. Er musste sich endlich von Greta lösen, und das konnte ihm nur gelingen, wenn er sie eine Weile nicht sah.
»Guten Morgen, gnädiges Fräulein.« Der magere junge Mann lüpfte kurz seine lederne Mütze und half Greta dann in die Kutsche.
»Was soll das bedeuten?«, fragte sie scharf. »Wo ist Siggo? Warum fährt er mich nicht?«
Der junge Mann deutete einen Diener an und schwang sich auf den Kutschbock. »Herr Freesen lässt sich entschuldigen. Er ist im Moment sehr beschäftigt. Ich bin der Carl. Wenn Sie bitte mit mir vorliebnehmen wollen? Ich bringe Sie nach Blankenese.«
Greta nickte verstimmt. So war das also. Siegmar Freesen war jetzt GroÃunternehmer und hatte es nicht mehr nötig, sie zu begleiten. Seit einer Woche hatte sie ihn überhaupt nicht mehr zu Gesicht bekommen. Zumal Gerlinde in diesen Tagen keine Zeit für den Unterricht im Tortenbacken hatte. Und zugegeben, Greta war es selbst gewesen, die vorübergehend auf seine Dienste verzichtet hatte. Aber zu der neuen Stelle, die sie im vornehmen Blankenese bekommen hatte, musste sie gefahren werden. Selbstverständlich hatte sie erwartet, heute früh Siggo zu sehen.
Sie musterte den jungen Mann von der Seite. »Kenne ich Sie nicht irgendwoher?«
»Schon möglich.« Carl trieb ein Pferd an, das Greta nicht kannte, und sagte: »Ich habe früher bei Oswald Lohmann gearbeitet.« Er verzog das Gesicht zu einer Grimasse. »Nun bin ich bei Herrn Freesen angestellt, und es ist viel angenehmer bei ihm.«
Jetzt fiel es Greta wieder ein. Bei ihrer ersten unangenehmen Begegnung mit Lohmann hatte dieser Jüngling für den Mann gearbeitet. Anfang Dezember war das gewesen, vor der Weinhandlung Eberle. Sie erinnerte sich daran, wie Siggo sie vor Lohmanns Pferden in Sicherheit gezogen hatte.
Auf einmal glaubte sie, wieder seinen festen Griff zu spüren, und ein Schauder überlief sie.
Was für dumme Gedanken! Ab sofort musste sie sich Siggo aus dem Kopf schlagen. Sie waren doch nur
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