Die Tortenbäckerin
Welt geraten, und sie hat nie aufgegeben. Auch nicht, als Fritz von seiner letzten Fahrt nicht mehr zurückgekommen ist. Selbst ihre Krankheit hat sie mit Würde ertragen.« Die lange Rede hatte sie auÃer Atem gebracht, und einneuerlicher Tränenausbruch machte ihr ein Weitersprechen unmöglich.
Greta saà steif in ihrem Sessel. Sie hätte auch gern etwas Gutes über ihre Mutter gesagt, aber all ihre Worte waren in ihr verschlossen, und sie brachte keinen einzigen Ton heraus.
Mathilde beruhigte sich ein wenig und bot dem Arzt ein Gläschen Likörwein an. Erst dann wandte sie sich wieder Greta zu, sah, wie starr sie war, und drehte sich zu Oliver um. »Lauf zu Freesens Stall und schau, ob du Siggo findest. Wir brauchen jetzt einen Freund.«
Nein!, wollte Greta rufen. Nicht Siggo. Er ist kein Freund mehr.
Doch sie blieb stumm, sah, wie Oliver davonflitzte, fühlte sich hilflos.
Mathilde wandte sich an den Arzt. »Bitte sagen Sie, wie ist meine arme Schwägerin gestorben? War es sehr schwer für sie? Hat sie gelitten?«
Dr. Hausmann schüttelte den Kopf. »Nein, das kann ich Ihnen versichern. Sie hat Laudanum bekommen. Ich setze es gern als Beruhigungsmittel ein, aber in höheren Dosen nimmt es den schlimmsten Schmerz und lässt die Sterbenden ruhig werden.«
»Das ist ein Trost«, meinte Mathilde, und Greta empfand ähnlich. Die Vorstellung, Viola habe nicht leiden müssen, tat ihr gut.
Der nächsten Frage kam Dr. Hausmann zuvor. »Die Patientin wurde auf dem Friedhof des Dorfes beerdigt. So ist es üblich, da die Angehörigen in den meisten Fällen nicht in der Lage sind, die Kosten für eine Ãberführung in die Heimat zu übernehmen. Sie hat ein schönes Grab bekommen, mit Blick auf die Berge.«
Greta räusperte sich, wollte sagen, dass Altona ohnehin niemals Violas Heimat geworden war, aber ihre Stimme versagte ihr noch immer. So nickte sie nur, um ihr Einverständnis zu zeigen.
Auch Mathilde schien diese Lösung für die beste zu halten. »Vielleicht kannst du ihr Grab eines Tages besuchen«, sagte sie zu Greta. »Und denk immer daran: Dank dir ist es ihr noch einige Monate lang gutgegangen. Hier in Hamburg wäre sie schon im Herbst gestorben. Habe ich nicht recht, werter Doktor?«
»Das haben Sie wohl.«
Dr. Hausmann warf Greta einen Blick zu. »Kann ich noch etwas für Sie tun, liebes Kind? Soll ich Ihnen ein wenig Laudanum geben, damit sie heute Nacht ruhig schlafen können?«
Greta schüttelte den Kopf.
»Nun denn«, meinte der Arzt. »Wenn die Damen mich entschuldigen würden. Ich möchte gern pünktlich zum Abendgottesdienst kommen, und drauÃen warten noch einige Patienten.«
Wenig später hörte Greta von unten her erneut die lauten Stimmen der Nachbarn, die den Doktor um Hilfe anflehten. Irgendwann kehrte Ruhe ein, und es wurde dunkel in der Stube. Zeit verstrich, Oliver kehrte nicht zurück, Greta und Mathilde waren allein. Ein paarmal räusperte sich Greta, versuchte, einen Ton hervorzubringen, schaffte es nicht. Jetzt bin ich vor Schreck stumm geworden, dachte sie. Eine stumme Mutter mit einem blinden Kind. Ein Kichern drang aus ihrer Kehle, sie konnte es nicht zurückhalten. Mathilde schaute sie scharf an. »Verlier jetzt bloà nicht den Verstand, Deern.«
Noch bevor Greta sich wieder beruhigt hatte, stürmte Oliver herein, hinter ihm betrat Siggo die Stube gemessenen Schrittes.
»Er war nicht da!«, rief Oliver. »Ich musste warten, bis er mit einer Fuhre vom Hafen zurückkam.«
»Schon gut«, sagte Mathilde und winkte den Jungen zu sich. Er lief in ihre Arme und schmiegte sich an sie.
Gretas Kichern verflog. Sie betrachtete Siggo wie einen Fremden. Es gab keine Gefühle mehr in ihr auÃer der Trauer um ihre Mutter. Aber endlich fand sie ihre Stimme wieder. »Maman«, flüsterte sie, weil sie sich plötzlich daran erinnerte, wie sie als kleines Mädchen mit Viola Französisch parliert hatte. »Maman ist tot.«
Da war Siggo mit zwei langen Schritten bei ihr, zog sie aus dem Sessel hoch und schlang die Arme um sie.
Nein, er war kein Fremder. Das wusste sie plötzlich wieder. Er war ihr groÃer starker Freund, der sie beschützte. Sein Herz klopfte schnell und stark in seiner Brust, seine Arme hielten sie sanft und dennoch fest, seine Lippen an ihrem Haar flüsterten tröstende Worte. Da, endlich,
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