Die Tortenbäckerin
vollen Mund. »Isâ nischt mehr übrig.«
»Verfressener Lausebengel!«, rief ihm Lotte Kröger erbost hinterher. »Einem blinden kleinen Mädchen den Kuchen wegfressen! Komm du mir bloà nicht mehr unter die Augen.«
»Darauf können Sie wetten.«
Er grinste, als er die glitschigen Stufen der Stiege hinuntersprang. Einen winzigen Sieg hatte er schon errungen. Aber ihm war klar, dass bald andere, viel gröÃere Siege folgen mussten.
Siggo war schweigsam auf der Rückfahrt, und auch Oliver hatte viel nachzudenken.
Erst als sie sich schon wieder dem Heimatstall näherten, sagte er: »Leni denkt, die Krögers sind ihre richtigen Eltern, stimmtâs?«
»Ja«, knurrte Siggo.
»Das ist gemein«, fand Oliver. »Sie sollte wissen, dass sie eine so liebe Mutti wie Greta hat.«
»Davon verstehst du nichts, mien Jung. Für das Kind ist es so besser.«
Oliver überlegte, ob er beleidigt schweigen sollte. Aber hier ging es nicht um ihn, sondern um Leni, also fragte er: »Hast du mit der bösen Frau Kröger gestritten?«
»So kann man es nennen«, brummte Siggo. »Ich habe gedroht, ihr Leni wegzunehmen, wenn sie sich nicht mehr Mühe mit dem Kind gibt. Sie hat mich nur ausgelacht. Niemand will einen blinden Bastard, das waren ihre Worte.«
Oliver stieà einen leisen Fluch aus.
»Das Schlimmste ist«, fuhr Siggo fort, »dass sie recht hat. Es wird schwer werden, eine andere Familie für Leni zu finden.«
Darüber musste Oliver erneut eine lange Weile nachdenken. SchlieÃlich meinte er: »Eigentlich bist du ziemlich doof, Siggo.«
Der Freund schnalzte mit der Zunge und zog an der Fahrleine, um Max an einem Kohlewagen vorbeizulenken. Erst dann fragte er säuerlich: »Was soll das denn heiÃen?«
»Es ist doch ganz einfach. Du heiratest Greta, und dann hat Leni eine neue Familie.«
Die Art, wie Siggo schnell wegschaute, sagte Oliver, dass dem groÃen Freund der Gedanke nicht neu war. Aber zu hören bekam Oliver etwas anderes. »Von diesen Dingen hast du keine Ahnung. Du bist bloà ein Kind.«
Diesmal schwieg Oliver wirklich beleidigt. Er war vielleicht nur ein Kind, aber er war jetzt auch Lenis lieber Freund, und er würde sich um sie kümmern. Am Stall der Freesens sprang er rasch vom Kutschbock und machte sich auf die Suche nach Paul, Harry und Olaf.
23
N un«, sagte Gerlinde Freesen. »Das ist schon ein ziemlich groÃer Schlamassel.«
Beinahe hätte Greta gekichert. So wie Siggos Mutter sich ausdrückte, hätte es sich bei ihrem Geständnis auch um einen angebrannten Tortenboden oder eine versalzene Suppe handeln können. Tatsächlich jedoch hatte sie Gerlinde Freesen von Leni erzählt, von den Umständen ihrer Geburt und von der unglücklichen Lage, in der sich das Kind seitdem befand.
Greta war an diesem Nachmittag zum ersten Mal seit Wochen wieder zum Backen erschienen. Doch zu ihrer Ãberraschung war in der Küche noch nichts für den Unterricht vorbereitet gewesen. Nur der Teekessel summte auf dem Herd.
»Bevor wir anfangen, will ich endlich die Wahrheit wissen«, hatte Gerlinde gesagt und Greta auf einen Stuhl gedrückt. »Was geht da vor zwischen dir und meinem Sohn? Und um wessen Kind macht ihr euch alle naselang Sorgen? Die Spatzen pfeifen es schon von den Dächern, nur ich weià nicht, worum es geht.« Dann hatte sie Greta einen Becher Tee gereicht, einen Schuss Rum dazugetan und sich abwartend hingesetzt. Ihr Blick war ruhig, jedoch zugleich unerbittlich gewesen.
Eine Weile hatte Greta herumgedruckst. Ihr fehltenplötzlich die Worte. Es war etwas anderes, Mathilde oder Siggo von Leni zu erzählen. Sie waren zwei Menschen, derer Zuneigung sie gewiss sein konnte. Aber Gerlinde Freesen? Diese Frau, die immer anständig durchs Leben gegangen war und schon so viel Schlimmes erlebt hatte? Würde sie nicht verurteilen, was Greta getan hatte? Würde sie sich am Ende von ihr abwenden? Greta hatte auf einmal schreckliche Angst.
Zwei Wochen waren vergangenen, seit Siggo zuletzt bei den Krögers in Barmbeck gewesen war. Er hatte ihr auch von Oliver erzählt, und als Greta den Jungen daraufhin zur Rede stellen wollte, hatte dieser sie ganz treuherzig angeschaut: »Du bist mir doch nicht böse, wenn ich Lenis Freund werde?«
»Nein«, hatte sie erwidert. »Bin ich nicht. Ich freue mich darüber.« Und zu
Weitere Kostenlose Bücher