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Die Tortenkönigin: Roman (German Edition)

Die Tortenkönigin: Roman (German Edition)

Titel: Die Tortenkönigin: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stella Conrad
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einen Moment lang an der Tür stehen, dann nahm ich die beiden Koffer und schleppte sie ächzend die fünf Stockwerke herunter.
    Eine halbe Stunde später verließ mein Zug den Bahnhof.

KAPITEL 6
     
    Als ich zehn Stunden und viermal Umsteigen später aus dem Zug taumelte, war ich am Ende meiner Kräfte. Ein freundlicher Schaffner stellte mir die Koffer auf den Bahnsteig, nachdem er gesehen hatte, wie ich mich mit ihnen abmühte.
    »Helene!«, kreischte es von links, und Marie kam auf mich zu gerannt und fiel mir um den Hals.
    Sofort, als ich ihre Umarmung spürte, wollte ich losweinen, nur noch weinen und mich anlehnen, mehr wollte ich nicht.
    »Komm«, sagte sie, »lass uns von diesem ungastlichen Ort so schnell wie möglich verschwinden.« Sie schnappte sich meine Koffer, sagte: »Uff! Hast du den Blödmann zersägt und mitgebracht?«, und marschierte los, aus dem kleinen Bahnhof hinaus zu ihrem Auto, einem klapprigen Kombi. Ich konnte nur noch hinter ihr hertrotten. Gemeinsam wuchteten wir mein Gepäck in den Kofferraum, stiegen ein und fuhren los.
    Sie ließ mich vollkommen in Ruhe, stellte mir keine Fragen, außer: »Musik?«, und als ich nickte, drückte sie den Startknopf des CD-Spielers und verkündete stolz: »Habe ich selbst gebrannt!« Madonna, Kylie, George Michael, Pink … sie alle sangen von Liebe, während wir uns Middelswarfen näherten, dem Dorf, in dem ich aufgewachsen war.
    Die Fahrt führte uns über schmale, kurvige Landstraßen, an Bauernhöfen vorbei und an Weiden mit Kühen und Pferden, und durch Dörfer, die nur aus ein paar Häusern rechts und links der Straße bestanden. Eine Zeit lang hingen wir hinter einem Traktor fest und krochen mit zwanzig Stundenkilometern durch die Landschaft, die mir so vertraut war – und die so ganz anders war als die Umgebung, die ich vor wenigen Stunden verlassen hatte.
    Mein Herz tat einen Sprung, als wir in unser Dorf hineinfuhren, und ich duckte mich unwillkürlich tiefer in den Sitz. Noch wollte ich niemandem begegnen, und ich wusste, unser Weg führte an der Konditorei meiner Eltern vorbei. Zwar war es bereits lange nach Ladenschluss, aber …
    Und richtig: Meine Mutter, in Glockenrock und Blümchenkittel, stand vor dem Geschäft und unterhielt sich mit Fräulein Behrens, meiner ehemaligen Grundschullehrerin, oder besser gesagt: jedermanns ehemaliger Grundschullehrerin, zumindest, was sämtliche Dorfbewohner zwischen sechs und knapp vierzig Jahren betraf.
    Ich musste unwillkürlich lächeln, als ich den Eimer sah und die Utensilien zum Fensterputzen, mit denen meine Mutter sich bewaffnet hatte. Es kam zwar regelmäßig jemand, der die beiden Schaufenster reinigte, aber meine Mutter putzte grundsätzlich noch einmal hinterher, wenn der Mann wieder gegangen war. Sie traute es einem Mann – nicht unbedingt diesem speziellen Mann, sondern ganz allgemein Männern – nicht zu, »ordentlich« zu putzen. Noch ein waltraudsches Naturgesetz.
    Ich hatte sie einmal gefragt, warum sie sich nicht einfach die Kosten für den Fensterputzer sparen würde, wenn sie doch sowieso noch selbst …? Und außerdem, meines Wissens habe es doch nie einen wirklichen Grund zur Beanstandung gegeben, oder?
    Diese Frage hatte bei meiner Mutter für helle Empörung gesorgt. Das käme selbstverständlich nicht infrage, auf die Dienste des Mannes zu verzichten, wurde ich belehrt, man habe schließlich einen Ruf zu verlieren, wie das denn aussähe, wenn die Chefin selbst die Fenster putzen würde?
    Mein Einwand, dass sie doch genau das täte, wurde ungläubig zur Kenntnis genommen. Sie sah mich an, als wäre ihr erst in diesem Moment klar geworden, dass sie eine minderbemittelte Tochter hatte.
    Man könne es sich schließlich leisten, einen professionellen Fensterputzer zu beschäftigen, sagte meine Mutter streng, und was sollten denn die Leute denken, wenn der plötzlich nicht mehr käme? Womöglich, dass man sich den Mann nicht mehr leisten könne! Diese Schande! Also wirklich. Sie schüttelte den Kopf. Ich würde aber auch wirklich dumme Fragen stellen!
    In diesem Moment war mir klar geworden, dass dieses Fensterputz-Ritual eine perfekte Inszenierung war: Waltraud Bernauer, emsigste aller Frauen, steht den ganzen Tag im Geschäft, immer freundlich, immer fleißig, hat sich Wohlstand und eine gewisse Position im Dorf erarbeitet und ist sich doch nicht zu fein, selbst den Putzlappen in die Hand zu nehmen. Nach Feierabend .
    Und weil das Geschäft Teil unseres Wohnhauses war, durften

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