Die Tortenkönigin: Roman (German Edition)
Wichtigeres zu tun, als meiner beknackten Schwester den Hintern zu versohlen.
»Wir müssen sie hinlegen«, sagte ich stattdessen, »los, hilf mir mal. Wir bringen sie in den Ruheraum.«
Der Körper meiner Oma war federleicht. Wann hatte sie derart abgenommen? Gut, sie war immer schmal gewesen, aber jetzt hatte ich das Gefühl, ich könnte sie mühelos allein tragen.
Wir legten sie vorsichtig auf das breite Sofa, das eigentlich ein schmales Bett mit vielen Kissen war. Schon zu Omas Zeiten als Chefin hatte es diesen Raum gegeben, für die Mitarbeiter.
Meine Mutter kam herein und sagte atemlos: »Sie sind unterwegs. Wie geht es ihr?«
Zum ersten Mal verfluchte ich die Tatsache, in einem Dorf zu leben. Hoffentlich würde der Notarztwagen nicht zu lange brauchen.
Ich sah mich um. Meine Mutter stand am Fußende des Sofas, völlig versteinert, nachdem sie mit letzter Kraft telefoniert hatte. Susanne stand neben ihr und hatte den Arm um ihre Schulter geschlungen. Sie sah verängstigt aus. Meine Oma lag bewegungslos auf dem Sofa, und ich hielt ihre kleine, runzlige, schlaffe Hand. Ihr Gesicht war friedlich, und mir wurde schlagartig klar, dass sie nicht mehr lebte.
Als der Notarzt eintraf, konnte er nur noch ihren Tod feststellen. Meine Mutter und meine Schwester klammerten sich schluchzend aneinander, während sie es mir überließen, mit dem Arzt die Formalitäten zu erledigen.
»Ich muss eine Leichenschau machen«, sagte er leise, »wir nehmen Ihre Großmutter mit ins Krankenhaus, und dort kann der Bestatter sie dann abholen. Wissen Sie, welcher Bestatter das sein wird?«
Ich schüttelte den Kopf. Woher sollte ich das wissen? Von Mutter und Schwester war keine Unterstützung zu erwarten, sie waren von den Sanitätern mittlerweile großzügig mit Beruhigungsmitteln versorgt worden. Jetzt hockten sie teilnahmslos auf zwei Stühlen und hielten sich an den Händen, krampfhaft bemüht, nicht in Richtung des Bettes zu sehen, auf dem Oma – mittlerweile zugedeckt – noch immer lag.
Trotzdem sah ich mich unwillkürlich Hilfe suchend um und begegnete unerwartet dem Blick meines Vaters, der unbemerkt eingetroffen war und jetzt in der Tür stand.
Er sah unendlich müde aus, als er tonlos zum Arzt sagte: »Ich weiß über alles Bescheid, wenn Sie Fragen haben.«
Den Rest des Tages erlebte ich wie in Trance. Lutz holte seine völlig bedröhnte Gattin ab und nahm seine Schwiegermutter gleich mit. Ich hängte ein Schild in die Ladentür: Wegen Trauerfall geschlossen .
»Morgen früh machen wir wieder auf«, brummte mein Vater, »bis dahin ist deine Mutter wieder fit.«
Meine Einwände wischte er mit einer müden Handbewegung beiseite. Wir gingen in Omas Wohnung, um ihre Papiere und Verfügungen zu holen.
Als wir beim Bestatter eintrafen, erfuhren wir, dass Oma alles bis ins kleinste Detail geplant und bereits bezahlt hatte: Sarg, Blumenschmuck, welche Musik gespielt werden sollte, die Todesanzeige – sogar eine Liste mit Adressen von Freunden, Bekannten und anderen Menschen, die zur Trauerfeier und Beisetzung eingeladen werden sollten, lag bereits vor.
Der Bestatter erzählte uns, Oma habe erst vor drei Wochen mit ihm alle verbindlichen Vereinbarungen getroffen. Er ließ uns die Adressenliste noch einmal durchgehen, um nachzusehen, ob wir irgendwelche Namen hinzufügen wollten. Die Beisetzung sollte am Freitag, also in vier Tagen stattfinden. Ob wir dem Sarg persönliche Gegenstände beilegen oder die Verstorbene private Kleidung tragen …?
Mein Vater und ich sahen uns ratlos an.
»Das müssen Sie nicht sofort entscheiden«, sagte der Bestatter salbungsvoll, während leise Orgelmusik den Raum durchflutete. »Morgen Abend reicht völlig aus.«
Ich starrte ihn an. Ich hatte ihn zwar sprechen hören, aber nicht verstanden, was er uns mitteilte. Alles war so unwirklich, ich hatte das Gefühl, in einer großen Blase durch das Geschehen zu schweben. Ich bekam alles mit, fühlte mich aber total handlungsunfähig. Der Bestatter, ein schlanker Mann Mitte fünfzig mit stark ergrauter Halbglatze in einem anthrazitfarbenen Anzug, saß mir gegenüber in einem Schreibtischsessel und guckte pietätvoll aus der Wäsche, während er routiniert sein Programm abspulte. Formulierungen, schon hundert- und tausendfach benutzt. Sonore, Vertrauen und Sicherheit einflößende Stimme. Ob man in der Bestatter-Ausbildung lernte, genau diese Pose einzunehmen und mit genau dieser Stimme zu sprechen?
Er und mein Vater machten
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