Die Tortenkönigin: Roman (German Edition)
Platz. Deine Großmutter war schließlich wer in dieser Gegend. Da kann man nicht einfach eine kleine Feier machen. Die Leute erwarten schließlich …«
»Na und?«, fiel ich ihr ins Wort. »Ist es nicht wichtiger, was Oma wollte?«
Sie stemmte die Hände in die Hüften und presste die Lippen zusammen. Sie schien mit sich zu ringen und platzte dann heraus: »Ach, so besorgt auf einmal? Gestern Mittag war Oma dir doch auch egal, als du …« Sie hielt kurz inne und sagte kalt: »Wer weiß, vielleicht würde Oma noch leben, wenn sie sich gestern nicht so über dich aufgeregt hätte.«
Diesen Tiefschlag spürte ich körperlich wie einen Fußtritt in den Magen. »Wie kannst du so etwas sagen?«, fragte ich fassungslos.
»Ist doch wahr! Wenn du am Samstag bei Susanne nicht so unmöglich und peinlich gewesen wärst, hätte es das ganze Theater nicht gegeben, oder? Du kannst wirklich stolz auf dich sein, Hel…«
»Halt dein verdammtes Schludermaul, Waltraud! Du redest nicht so mit Helene, nicht in meiner Backstube, nicht in meinem Haus, nirgends!«, donnerte mein Vater plötzlich. Er stand an seiner Arbeitsplatte und sah meine Mutter mit wildem Blick an. Sein Gesicht war hochrot.
Ich war bei seinem überraschenden Ausbruch vor Schreck zusammengezuckt, und mein Herz klopfte so stark, dass es im ganzen Raum zu hören sein musste. Puh, so hatte ich meinen Paps noch nie erlebt. Der Körper meiner Mutter versteifte sich noch mehr, dann drehte sie sich um und stakste aus dem Raum.
Mein Vater atmete schwer. Seine Fäuste waren so fest geballt, dass seine Fingerknöchel weiß zu leuchten schienen. War er kurz davor gewesen, meine Mutter zu schlagen? Mein Vater?
»Ich möchte mich für deine Mutter entschuldigen«, sagte er plötzlich.
»Das musst du nicht, Paps«, murmelte ich beschämt.
Was mir peinlich war? Dass mein Vater sich für seine Frau schämte und entschuldigte.
»Doch, das muss ich. Du bist meine Tochter, und ich werde dich immer beschützen. Und wenn ich dich vor deiner eigenen Mutter beschützen muss, dann ist das eben so.«
Ich ging zu ihm und umarmte ihn. Er seufzte und lehnte sich für einen winzigen Moment schwer an mich.
»Bist du in Ordnung, Paps?«
Er löste sich von mir und rieb sich die müden Augen. »Geht schon. Ich wusste, dass wir mit Omas Tod rechnen mussten, und sie wusste das auch.«
»Was fehlte ihr denn? Hatte sie Krebs?«
Er schüttelte den Kopf. »Sie hatte seit einem Sturz vor ein paar Wochen ein Aneurysma im Gehirn. Eine Operation wäre zu riskant gewesen. Sie durfte sich halt nicht aufregen.«
Ich erschrak. Wir hatten sie wirklich buchstäblich umgebracht mit unserem Streit am Küchentisch, den sie zu schlichten versucht hatte. Meine Mutter hatte recht!
Meine Knie wurden weich, und ich taumelte gegen den Arbeitstisch. Mein Kopf fühlte sich an wie ein Ballon, und mir war derart übel, dass ich mich auf der Stelle hätte übergeben können.
»Helene? Du bist ganz blass«, drang die Stimme meines Vaters mühsam durch das Rauschen in meinen Ohren. Ich versuchte, tief durchzuatmen, damit ich nicht umfiel.
»Sie hatte recht – ich habe sie umgebracht«, ächzte ich, und mein Vater runzelte unwillig die Stirn.
»Das will ich nicht noch einmal hören, Helene. Das ist schrecklich. Ihr wusstet nicht, was mit Oma los war, sie wollte das nicht, weil sie keine Lust hatte, wie ein rohes Ei behandelt zu werden.«
»Darum geht es nicht. Unser Verhalten war so oder so unentschuldbar, egal wo oder wem gegenüber.«
»Deine Großmutter hat dich sehr geliebt. Es wäre furchtbar für sie, wenn sie wüsste, dass du dir Vorwürfe machst. Sie hat dir das Auto geschenkt, weil sie nicht mehr fahren wollte, das war ihr zu riskant. Schließlich hätte sie andere Menschen mit in den Tod reißen könnte, wenn ihr Aneurysma während der Fahrt geplatzt wäre. Und trotzdem hat sie immer gesagt, dass ihr ein plötzlicher Tod auf jeden Fall lieber ist als monate- oder jahrelanges Siechen. Sie hatte mit ihrem Leben abgeschlossen, Helene, und du hast ihr mit deiner Rückkehr eine letzte große Freude gemacht. Das weiß ich genau, weil sie es mir erzählt hat.«
Er zog ein Stofftaschentuch aus der hinteren Tasche seiner karierten Bäckerhose und wischte sich den Schweiß von der Stirn.
»Und jetzt bitte ich dich darum, dass du dich um ein paar Brötchenplatten kümmerst, okay? Mir zuliebe.«
Ich nickte, denn um nichts in der Welt wollte ich, dass meine Mutter ihm meinetwegen wieder einmal die Hölle
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