Die Tortenkönigin: Roman (German Edition)
abwechselnd den Mund auf und zu – also wurden offenbar Informationen ausgetauscht.
Ich kapierte kein Wort, während ich plötzlich verstand, wirklich verstand , was mittags passiert war. Meine geliebte Oma war gestorben – und das Letzte, was sie gesehen hatte, waren die Frauen ihrer Familie, die sich wie Marktweiber ankeiften.
Ich fing an zu weinen.
KAPITEL 27
Ich war außerstande, mich zu beruhigen. Ich weinte beim Bestatter, ich weinte während der gesamten Rückfahrt, und ich weinte immer noch, als Paps mich bei Marie ablieferte. Trotzdem registrierte ich auf einer Nebendatei, dass er zum ersten Mal seit meiner Rückkehr nach Middelswarfen in meinem Heim war.
»Kommst du morgen früh?«, fragte er mich.
Ich nickte schluchzend, und er umarmte mich.
»Danke, ich bin froh, dass du da bist«, murmelte er in mein Haar, nickte Marie zu und ging.
»Darf ich ihn allein lassen?«, schniefte ich und griff zum wiederholten Mal in die Box mit Papiertaschentüchern, die Marie bereithielt.
»Natürlich«, sagte sie, »dein Paps ist ein großer Junge. Er hätte es dir gesagt, wenn er wollte, dass du …«
»Nein!«, begehrte ich auf. »Mein Paps würde sich eher die Zunge abbeißen, bevor er zugibt, dass er Hilfe braucht!«
»Dann ist auch das seine Entscheidung, hörst du? Du ruhst dich jetzt aus, damit du morgen wieder auf den Beinen stehen kannst. Die nächsten Tage werden anstrengend.«
Sie steckte mich ins Bett und kochte mir eine Kanne Tee. Dann zog sie meine Gardinen zu und verließ mein Zimmer, ließ die Tür aber einen Spalt offen. Nach ein paar Minuten tapste Schorsch herein, miaute leise und sprang zu mir aufs Bett. Ich lag auf dem Rücken, und er kletterte auf meinen Bauch. Wieder miaute er, stupste mit der Pfote meine Hand an und rollte sich dann zu einem schnurrenden Ball zusammen.
Als ich am nächsten Morgen vom Klingeln meines Weckers erwachte, waren Kater und Tee verschwunden und die Tür geschlossen. Ich hatte ganze zehn Stunden geschlafen, und es war Zeit, zur Arbeit zu gehen.
Mein Vater werkelte bereits in der Backstube, aber er wirkte wie ein Zombie, der von einer fremden Macht gesteuert wird. Die tiefen, fast schwarzen Ringe unter seinen Augen ließen vermuten, dass er keine einzige Minute geschlafen hatte. Robotergleich nahm er von einem riesigen Metalltablett kleine, vorgeschnittene Teigstückchen und formte sie routiniert zu Brötchen. Eines nach dem anderen, ohne dem Vorgang auch nur die geringste Aufmerksamkeit zu schenken, denn seine Augen sahen blicklos ins Leere. Auf meinen Gruß reagierte er kaum, und als ich nach Aufgaben fragte, zeigte er nur stumm auf eine Arbeitsplatte, auf der Blätterteig darauf wartete, zu Croissants verarbeitet zu werden.
Die Tür ging auf, und meine Mutter kam herein. Sie sah aus wie immer. Perfekt frisiert und gekleidet, geschäftig und kompetent. Nichts erinnerte mehr an die verwirrte, völlig überforderte Frau von gestern.
»Helene, kannst du dich darum kümmern, dass wir heute Mittag ein paar Brötchenplatten haben? Wir haben mit Kondolenzbesuchen zu rechnen, und ich lege keinen Wert darauf, für eine schlechte Gastgeberin gehalten zu werden.«
Ich glaubte, mich verhört zu haben. Brötchenplatten? Wer hatte denn dafür Zeit? Ich jedenfalls nicht.
»Kannst du nicht Susanne darum bitten? Wir haben hier so viel zu tun. Oder wir machen ein paar schöne Kuchenplatten fertig, das reicht doch.«
Meine Mutter maß mich mit einem Blick, der jeden wilden Tiger verscheucht hätte. »Susanne ist damit beschäftigt, die Trauerfeier zu organisieren.«
Sehr witzig. Soweit ich wusste, war doch bereits alles längst organisiert …? Aber sollte Susanne halt herumorganisieren, wenn sie meinte.
»Dann lass uns bei Oltmanns anrufen und ein paar Schnittchenplatten bestellen.«
»Du scheinst ja jede Menge Geld zu haben. Wann wirst du endlich erwachsen werden? Wir machen die Brötchen selbst und basta. Hätte ich mein Geld so verplempert, wie es deine Art zu sein scheint, wären wir heute nicht da, wo wir sind«, schloss sie triumphierend.
In der Spießerhölle, na vielen Dank, dachte ich bockig. Bei dem Stichwort Spießerhölle fiel Susanne mir wieder ein. Und das, was sie gerade zu organisieren glaubte.
»Was soll denn das überhaupt für eine Trauerfeier sein, mit der Susanne gerade beschäftigt ist?«, fragte ich.
»Ein großer Empfang im Gemeindehaus.«
»Aber Oma hatte etwas anderes verfügt«, wandte ich ein.
»In der Kirche ist nicht genug
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