Die Tortenkönigin: Roman (German Edition)
kaum, was sie sagte. Erstens war ich todmüde, und zweitens grübelte ich darüber nach, wann um Himmels willen ich meine Kunstwerke herstellen sollten, ohne den normalen Arbeitsablauf in der Backstube zu stören – von den Vorbereitungen für das Dorffest gar nicht zu reden. Ich hatte keinerlei Hoffnung, dass meine Mutter auch nur in Erwägung ziehen könnte, unseren Stand abzusagen. Jeder hätte das verstanden, ganz sicher. Und wenn ich es schaffen sollte, meine Torten zu bauen, was vermutlich nur abends stattfinden konnte -, wo sollte ich sie bis zum Shooting lagern? Wer hatte eine große Kühlkammer?
Es gab noch einiges zu organisieren.
Auch am nächsten Morgen musste ich bereits in tiefster Nacht in der Backstube erscheinen, denn die beiden Aushilfen – Horst und Dieter, beide Mitte vierzig – sollten bei ihrer ersten Schicht jemanden neben sich haben, der ihnen alle eventuell auftretenden Fragen beantworten konnte. Es gab keine einzige Frage. Die beiden agierten ruhig und professionell, als hätten sie ihr Leben lang bei uns gearbeitet. Um ehrlich zu sein, kam ich mir ein bisschen überflüssig vor. Ich zog mich in meine Ecke zurück und fing an, Petits Fours zu machen.
»Helene, kommst du mal bitte?« Meine Mutter stand in der Tür und tippte ungeduldig mit dem Fuß.
»Was gibt es denn?«
Keine Antwort, sie war längst wieder weg. Seufzend trottete ich ihr hinterher in den Laden. Vor der Theke stand Sven Janssen und knetete seine Hände.
»Helene, sieh mal, wer da ist«, zwitscherte meine Mutter lieblich, und ich hörte: »Helene, sieh mal, wer sich für dich interessiert, obwohl du so unmöglich bist, also sei dankbar und tu alles, was er von dir verlangt.«
Ehrlich, ich hörte es laut und deutlich in meinem Kopf, und rief empört: »Was?«
Sven und meine Mutter blickten sich erstaunt an, dann sagte meine Mutter langsam und überdeutlich, als sei ich schwerhörig oder zurückgeblieben: »Ich sagte: Helene, sieh mal, wer da ist.«
»Oh. Hallo, Sven. Was führt dich zu uns?«
Auf seiner Stirn bildete sich Schweiß. Er druckste herum wie ein Fünfjähriger und blökte dann: »Jederzeit, wenn ihr Hilfe braucht! Jederzeit!« Er sackte zusammen, offensichtlich erschrocken über seine eigene Lautstärke, und schob deutlich leiser hinterher: »Das wollte ich nur sagen.«
Der Ärmste hatte offenbar derart unter Druck gestanden, dass er nicht mehr in normaler Lautstärke reden konnte. Er hätte sich sicherlich lieber als Ritter in glänzender Rüstung präsentiert, stark und souverän, aber das war weiß Gott nicht sein Ding. Sven war kein strahlender Ritter, da konnte er sich noch so sehr anstrengen. Sven war der Sohn von Dick und Doof, und, bei allem Respekt, das war ihm anzumerken.
Er tat mir leid, wie er dastand, Standbild der Scham über sein eigenes Versagen, und so sagte ich freundlich: »Das ist sehr nett von dir, Sven, wirklich. Gut zu wissen, dass wir dich jederzeit um Hilfe bitten können. Ich danke dir, auch im Namen meiner Mutter. Nicht wahr, Mutti?«
Ich sah sie an, und sie streifte mein Gesicht mit einem verwunderten Blick, bevor sie zu Sven sagte: »Ich hätte es nicht besser sagen können.«
Er strahlte über beide Backen, und sein Doppelkinn bebte vor Aufregung und Erleichterung. Er zog ein weißes Stofftuch aus der Hosentasche und wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Ich will dann mal wieder …«
»Möchtest du ein Stück Kuchen?«, fragte meine Mutter, und Sven kämpfte einen Moment mit sich. Dann strich er sich mit verlegenem Lächeln über den voluminösen Bauch.
»Vielen Dank, Frau Bernauer, aber ich muss ein bisschen aufpassen. Ich darf mich verabschieden.«
Wie ein Pfeil schoss er zur Tür hinaus.
»Obelix«, murmelte ich kichernd.
»Wage es nicht, dich über Sven lustig zu machen«, sagte meine Mutter sofort. »Das ist ein sehr netter Junge, und du solltest froh sein, dass er sich für dich interessiert.«
Hatte ich vorhin also doch richtig gehört, auch wenn sie es vielleicht nicht laut ausgesprochen hatte. Aber ich kannte meine Mutter so gut, dass ich ihre Gedanken hören konnte.
»Und warum sollte ich darüber froh sein?«
»Ich könnte mir vorstellen, dass er ernste Absichten hat. Ich verstehe es zwar nicht, aber es scheint so zu sein.«
»Ach. Das beantwortet meine Frage allerdings nicht. Warum sollte ich darüber froh sein?«
»Das fragst du mich? Wenn der Erbe der reichsten Familie weit und breit in Erwägung zieht, dich zur Frau zu nehmen, fragst
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