Die Tote am Watt: Ein Sylt-Krimi (German Edition)
Stück herunter und schrie gegen die Bö an, die in seinen Wagen heulte: »Soll ich Sie nach Hause fahren?«
Andresen beugte sich ins Auto, ohne die Hände von den Ohren zu nehmen. »Ist das denn Ihre Richtung?«
»Steigen Sie nur ein!«
Andresen stöhnte auf, als er neben Erik saß und die Tür und die Fensterscheibe geschlossen waren. »Ich dachte, die frische Luft würde mir guttun. Ich habe nicht damit gerechnet, dass der Wind derart zunimmt.« Er hatte versucht, ruhig und gelassen zu sprechen, aber man merkte ihm an, dass er den Tränen nahe war.
»Ist was mit Saskia?«, fragte Erik vorsichtig.
Andresen schob das linke und das rechte Vorderteil seines Mantels so über die Schenkel, dass sie den gleichen Abstand zu den Knien hatten. Dann nickte er. »Es schien ihr besser zu gehen. Die künstliche Beatmung wurde abgestellt. Sie öffnete die Augen, nahm ihre Umgebung wahr, aber dann …« Nun weinte er wirklich. »… dann sah sie mich. Und sie begann zu schreien. Ich hatte damit gerechnet, dass sie nach ihrer Mutter fragen würde, dass sie weinen würde, weil Ulla nicht da war. Aber was, glauben Sie, hat sie gesagt?« Er zog ein Taschentuch hervor, tupfte seine Augen ab und ließ die Hände sinken. »Böser Wolf!«, sagte er so leise, dass Erik ihn kaum verstehen konnte.
Erik legte den ersten Gang ein und fuhr an. Als er den Blinker setzte, um nach links in die Brandenburger Straße abzubiegen, fragte er: »Warum nur dieser Hass? Können Sie sich erklären, warum Ihre Frau dem Kind diesen Hass einflößte?«
Andresen antwortete erst, als Erik vor seinem Geschäft hielt. »Es gibt Frauen«, sagte er, »die lieben nur so lange, wie sie etwas verändern können. Ulla war so eine Frau. Liebe war für sie die Arbeit am Meisterstück. Wenn die Vollkommenheit erreicht war oder wenn klar wurde, dass sie nicht erreicht werden konnte, dann hörte ihre Liebe auf.« Sein Kopf bewegte sich einmal nach links, dann nach rechts, anschließend zweimal nach links und zweimal nach rechts. »Bei Ulla wurde sogar Hass daraus. Es genügte ihr nicht, dass sie mich betrog und mir meine Selbstachtung nahm. Nein, sie musste mir auch noch das Kind entfremden. Was meinen Sie, wie oft ich mich gefragt habe, was eigentlich aus Ullas Liebe zu Saskia werden sollte, wenn das Kind wieder gesund war?« Er nahm die Hände wieder von den Knien und griff nach seinen beiden Kragenspitzen, als wollte er nicht in Versuchung kommen, Erik die Hand zu reichen. »Vielen Dank, dass Sie mich nach Hause gebracht haben. Ich hatte mir wirklich zu viel vorgenommen mit meinem Spaziergang. Bei dem Wind!«
Erik nickte und war dankbar, dass das Persönliche weggeweht war. »Es hat eine Sturmwarnung gegeben«, sagte er. Unter allen Umständen wollte er wieder den Andresen vor sich haben, den er kannte und den er nicht mochte, der keine Gefühle zeigte und so unsympathisch war, dass sich sogar sein eigenes Kind vor ihm fürchtete.
»Haben Sie Björn eigentlich schon gefasst?«, fragte Andresen, während er aus dem Auto stieg.
Erik schüttelte den Kopf. »Aber von der Insel kommt er nicht runter. Wir werden ihn bald verhaften, ganz sicher.«
Als Erik wieder in die Trift einbog, war er erleichtert. So, wie es gut gewesen war, nach Flensburg zu fahren, um mehr über Björn Mende zu wissen, war es gut gewesen, mehr von Wolf Andresen zu erfahren. Während er die Westerlandstraße Richtung Wenningstedt fuhr, dachte er über das nach, was Andresen gesagt hatte. Ulla liebte nur so lange, bis die Vollkommenheit erreicht oder klar war, dass sie nicht zu erreichen war. Hatte sie aufgehört, Björn zu lieben, als sie ihn für geheilt hielt? Als seine Sexualität wieder normal war? Oder hatte sie aufgehört, ihn zu lieben, weil er trotzdem nicht aufhören konnte mit seiner Besessenheit? Und was war mit ihrem Mann? Wäre er ihrer Liebe nur sicher gewesen, wenn er es als Geschäftsmann zur Vollkommenheit gebracht hätte?
Erik hatte Mitleid mit Wolf Andresen, tiefes Mitleid. Aber sympathischer war er ihm deswegen auch nicht.
21
Mörder endlich gefunden und gleich wieder verloren! Wer schützt die Sylter Bürger? Vor dem Mann, der zu allem fähig ist, und vor dem, der nicht fähig ist, uns zu schützen: Hauptkommissar Wolf!
Cousine Isabella war ein sehr spontaner Mensch. Das wussten alle. In Mamma Carlottas Heimat zumindest. Auf Sylt war das weniger bekannt. Deswegen dachte Erik, als um halb sechs morgens das Telefon ging, an einen Todesfall in der Familie, an Björn
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