Die Tote im Badehaus
Tempel eingeläutet wurde. Ich habe bei Ihnen an die Tür geklopft, aber Sie müssen …«
»… tief und fest geschlafen habe ich«, sagte Mrs. Chapman. »Bier steigt mir immer sofort zu Kopf. Ich habe eine National-Geographic-Sondersendung eingeschaltet und muß dabei eingenickt sein. Als ich wieder aufgewacht bin, kam irgendein verrücktes Gymnastikprogramm.«
Yamamoto und Nakamura kamen in dicken Pullovern und Skihosen herein. Eine vermißte Ehefrau war kein hinreichender Grund, um die sportlichen Aktivitäten des Tages ausfallen zu lassen. Meine Wut überraschte mich, insbesondere, weil ich Setsuko Nakamura nicht einmal mochte. Während er seine Eßstäbchen entzweibrach, schoß mir Mr. Nakamura einen giftigen Blick zu, den ich erwiderte. Ich hatte mir ja nicht freiwillig sein Problem in allen Einzelheiten angehört – ich war dazu abkommandiert worden. Ich aß mein Gemüse und lud Mrs. Chapman ein, mir bei meiner morgendlichen Wanderung Gesellschaft zu leisten. Sie lehnte ab, weil sie in der Stadt Souvenirs kaufen wollte. Ich drängte sie nicht weiter. Ich freute mich darauf, allein zu sein und zügig zu laufen, um so die verworrenen Gefühle zu sortieren, die ich nicht ganz identifizieren konnte.
Zehn Minuten später bewunderte ich draußen, wie der Schnee die Autos überzogen und den Parkplatz in ein blendendweißes Feld verwandelt hatte. In dem Schnee war ein Muster zu sehen, zierliche Spuren, die nur von einer Katze stammen konnten. Ich folgte den Spuren auf die Rückseite der Pension zu einem Bambustor, das ich entriegelte.
Ich betrat einen kleinen Garten, wo der Schnee die Äste der stark gestutzten Bäume einfaßte wie eine Stickerei. Windböen wirbelten Flocken herunter. Ich setzte die Kapuze meines Daunenmantels auf und stapfte weiter. Mit sanfter Stimme lockte ich die Katze, die sich hier irgendwo versteckt haben mußte.
Die Pfotenspuren endeten vor einem Abfallhaufen aus trockenem Laub und Ästen, der in dem stilisierten Garten fehl am Platz war. Ich stieß mit den Fingern in den Haufen, um das Tier aufzustöbern. Als sich die Blätter bewegten, entdeckte ich etwas anderes.
Was wie Rinde ausgesehen hatte, war langes, gefrorenes Menschenhaar. Und der bleiche, herabhängende Ast war ein schlanker Unterarm, der, wie bei vielen Japanerinnen, die besonders feminin sein wollen, rasiert war. Das letzte, was ich sah, bevor meine Knie nachgaben, waren glänzende, scharlachrote Fingernägel, von denen einer abgebrochen war. Ein Makel, den Setsuko Nakamura niemals geduldet hätte, wäre sie noch am Leben gewesen.
4
Die japanische Polizei ist fixiert auf Aufenthaltsgenehmigungen. Wenn man sie nicht griffbereit hat, kann man stundenlang und sogar über Nacht festgehalten werden, ein Mißgeschick, das schon Englischlehrern wie Verkäuferinnen widerfahren ist. Ich war nicht überrascht, der Polizei von Shiroyama meine Karte vorzeigen zu müssen, als der Streifenwagen mit Streusalzspuren, gefolgt von einem kleinen Krankenwagen, vor dem Minshuku Yogetsu hielt.
Ich hatte die Karte in meiner Brieftasche griffbereit und rannte nach oben, um meinen Paß zu holen. Als ich zurückkam, kniete Mrs. Yogetsu noch immer unterwürfig vor den Polizisten.
»Es gibt keinen Grund, weshalb das ausgerechnet hier passieren mußte. Ich bitte Sie, das einzusehen. Ich habe die Reservierung dieser Frau über ein Reisebüro angenommen!« Ihre Bitten wurden ignoriert, als der leitende Beamte drei untergeordnete Polizisten nach draußen befahl.
Captain Jiro Okuhara war offensichtlich zu Hause benachrichtigt worden. Er trug einen beigefarbenen Pullover mit V-Ausschnitt und eine karierte Golfhose. Trotzdem benahm er sich so förmlich, als wäre er auf dem Präsidium, und reichte mir mit ernster Miene seine Karte. Ich tat, was von mir erwartet wurde – ich betrachtete sie mit großem Interesse, das natürlich nur vorgetäuscht war. Meine japanischen Sprachkenntnisse beschränkten sich beinahe ausschließlich auf das Mündliche – obwohl ich auf dem College kanji- Zeichengelernt hatte, konnte ich nur etwa dreihundert lesen, was ungefähr dem Stand der dritten Klasse entsprach.
Captain Okuhara winkte mich von den Gästen und besorgten Nachbarn weg, die sich am Eingang drängten. In Mr. Yogetsus Küche setzten wir uns an einen kleinen, überladenen Tisch mit einem Reiskocher, Gemüseschalen und anderen Überbleibseln der Frühstücksvorbereitung. Die Küche war nicht so sauber, wie ich erwartet hatte, denn fast das ganze
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