Die Tote im Maar - Eifel Krimi
und ich fürchte mich davor, nach der Aufbahrung in ihr Gesicht zu sehen und sie vielleicht nicht mehr zu erkennen.«
»Niemandem wird etwas auffallen, im Licht in der Kirche sieht ohnehin immer alles aus, als befänden wir uns noch in den Schatten des 19. Jahrhunderts.«
Da musste ich ihm recht geben. »Ist die Kapelle frei? Können wir sie heute noch aufbahren?«
»Veranlasse ich gleich. Conny ist bestimmt noch auf dem Friedhof, er wollte das Wetter ausnutzen. Du brauchst nicht mit, schau morgen einfach mal nach ihr.«
Das Leben war eine sehr verletzliche Hülle, fand ich.
Er fragte mich, ob er einen Kranz bestellen sollte, welche Blumen in welchen Farben – eine Schleife und Kerzen … und ob ich immer noch die Trauerrede halten wollte.
Ich glaubte, ich wollte noch immer, aber welche Musik sollte ich aussuchen? Ich wusste zu wenig, viel zu wenig. Um einen Menschen besser kennenzulernen, müsste ich mit ihm reden, um einen toten Menschen besser kennenzulernen, müsste ich in sein Leben eintauchen – und das ginge nur mit Bildern und etwas Schriftlichem. Hatte ich mir nicht genau das vorgenommen?
Am frühen Abend verschloss ich die Türen des Instituts und stieg ins Dachgeschoss meines Hauses hinauf.
Diesmal schloss ich alle Dunkelheit aus, und würde es in der Kapelle nur Dämmerlicht geben, sorgte ich hier oben für Festbeleuchtung. Ich schleppte alle transportablen und verfügbaren Lichtquellen hinauf, um mich mit dem seltsamen Koffer nicht unwohl fühlen zu müssen.
Es war keine abgelegte Kleidung, die man verstaut hatte. Ich räumte Stück für Stück aus, sah mir alles an, bis ich nur noch den leeren Koffer vor mir hatte. Wer würde private Erinnerungen mitnehmen, wenn der Plan nicht Flucht hieße?
Fotos, die eine lachende Katharina zeigten. Eine ganze Serie davon. Keine Bilder von ihrer Familie, meinen Großeltern, und auch keine Bilder von uns allen zusammen. Die Protagonistin war immer Katharina Friedrich. Ich wusste nicht mehr viel von meiner Mutter, aber so kannte ich sie nicht. Als hätte sie nur sich selbst gesehen.
Ich versuchte, mich zu erinnern, ob mir diese Kleidungsstücke bekannt vorkamen, ob ich eines an ihr damals gesehen hatte.
Meine Stimmung konnte sich nicht weiter eintrüben, sie war bereits auf dem Tiefpunkt. Eines dieser lachenden Bilder aber wollte ich rahmen lassen. Mein Lieblingsfoto stand auf einem Vertiko im Esszimmer. Der Auslöser war exakt in dem Augenblick gedrückt worden, als sie dem Fotografen, von dem ich annahm, dass es mein Vater gewesen war, im Halbprofil zugezwinkert hatte.
In diesem Blick meinte ich Liebe zu erkennen, hatte ich mich so getäuscht?
Was ich mit dem Koffer tun wollte, wusste ich nicht. Musste ich überhaupt etwas damit machen?
Vergessen, dass es ihn überhaupt gab; er war ein stummer Zeuge. Vielleicht schrie er laut jemandes Schuld heraus.
Die Fotos würde ich behalten und die Kleider entsorgen. In der Art beschloss ich den Abend und brachte die Festbeleuchtung wieder nach unten. Geschafft, musste ich denken, doch Erleichterung würde ich erst wieder empfinden, wenn die Beerdigung überstanden war.
Es krachte, dann flackerte das Licht. Ich zuckte zusammen und lief zum Fenster, um zu überprüfen, ob das Gewitter wenigstens diesmal echt war. Es regnete, und die Luft dampfte. Ein Blitz teilte den Himmel. In meinem Kopf herrschte, bis auf meine Gedankenflut, Frieden. Ich blieb bei mir, diesmal war es Wirklichkeit. Obwohl ich einiges, das aus der Vergangenheit aufgetaucht war, lieber vergessen würde, und dazu gehörten auch Rufus’ Tränen.
Ich wollte mich schon aufatmend abwenden, als ich einen Lichtschein beim Totenmaar sah und eine dunkle Gestalt, die bewegungslos auf den See starrte.
Jemand anderer würde gar nichts vergessen, weil er einen Mord, auch wenn er schon lange zurücklag, nicht einfach in einer Akte ablegen wollte.
Ich konnte ihn sehen. Er stand dort am Ufer, als würde er etwas abwarten, als ließe er es um sich Nacht werden.
Vincent Klee war dabei, seine Ausrüstung zu überprüfen und sich bereit zu machen für einen weiteren Tauchgang im Totenmaar. Nachts, wo sich alles verborgen hielt, unsichtbar war.
Ein bisschen viel düstere Phantasie, hätte ich zu mir gesagt – jedenfalls bevor man Katharina dort unten gefunden hatte.
Unter Wasser war es immer dunkel. Egal, ob es an Land Tag war oder Nacht.
Warum überfiel mich ausgerechnet jetzt diese unbestimmte Sorge? Vincent Klee hatte sicher eine Lampe und auch sonst
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