Die Tote im Ritz - Ein Fall fuer Detective Joe Sandilands
drehte sich zu ihm und legte ihm einen Finger auf die Lippen. »Ich hatte einen wunderschönen Abend! Gute Nacht, Joe.« Ein rascher Kuss auf die linke Wange, und weg war sie.
Er blieb sitzen, gefangen in verstörenden Gedanken und mit dem Wunsch, er hätte nicht so viel Champagner getrunken.
»Wohin jetzt, Sir?«
Die taktvolle Frage des Taxifahrers brachte ihn zu einer Entscheidung. »Scotland Yard. Zum Eingang an der Derby Street.«
»Hat die junge Dame Ihnen bei der letzten Umarmung die Armbanduhr geklaut, Sir?«
Joe lachte. »Nein, nicht die Uhr.« Als ob er auf Nummer sicher gehen wollte, sah er demonstrativ auf seine Armbanduhr. Weit nach 23 Uhr. Was erhoffte er zu dieser späten Stunde noch zu erreichen? Sich über einen totgeborenen Fall das Hirn zu zermartern? Aber möglicherweise wartete auf seinem Schreibtisch eine Lieferung Notizen von Cottingham, den er mit einem Tagesplan voller Polizeiarbeit losgeschickt hatte, bevor die Axt niedergesaust war. Joe war viel zu aufgedreht, um direkt nach Hause zu fahren, und er besaß auch nicht die Unverfrorenheit, sich im Smoking mit Lippenstiftspuren auf der linken Wange und nach Champagner und Zigarren riechend Maisies scharfer Zunge und ihren wissenden Kommentaren zu stellen. Eine Stunde verstohlener Arbeit würde seine sprunghaften Gedanken beruhigen. Scotland Yard schlief nie. Vom Erdgeschoss bis zum Dach brannte Licht, als er aus dem Taxi stieg. Der Uniformierte am Eingang salutierte und winkte ihn durch. Als er auf dem Weg zur Treppe an der Empfangstheke vorbeikam, wurde er von dem wachhabenden Sergeant eifrig herangewunken.
»Sir! Commander Sandilands! Was für ein Glück! Wir haben schon versucht, Sie zu erreichen. Da ist etwas hochgekommen. Buchstäblich, Sir! Zwei Beamte der Wasserschutzpolizei sind hier und wollen nicht eher gehen, bis sie Sie gesprochen haben.«
Joe ging verwundert zur Theke, und der Sergeant öffnete die Bürotür hinter sich und rief: »Alf! George! Ich habe ihn! Er gehört euch.«
Alf und George leerten ihre Kakaobecher, eilten aus dem Büro und blieben vor ihm stehen, wobei sie ihn auf Polizeiart gründlich taxierten. Sie trugen das obligatorische Regencape und marineähnliche, spitze Mützen und sahen äußerst entschlossen aus. Der Anführer sah unsicher von Joe zum wachhabenden Officer, der ein Grinsen unterdrückte und meinte: »Ja, auf den habt ihr gewartet. Commander Sandilands.«
»Ich bin außer Dienst«, murmelte Joe, der sich bewusst war, dass er aussah, als sei er gerade aus einer Nebenrolle in einem bissigen Gesellschaftsstück im Lyric von der Bühne geschlendert. »Sandilands. Was kann ich für Sie tun?«
»Sie können für uns eine Leiche identifizieren, Sir. Sie liegt auf dem unterirdischen Revier an der Waterloo Bridge. Eine frische Leiche - ist höchstens seit einer Stunde im Wasser. Ein Selbstmord.«
»Ich helfe natürlich gern«, meinte Joe und unterdrückte seine aufkeimende Gereiztheit. »Aber Selbstmorde fallen nicht in meinen Zuständigkeitsbereich. Können Sie nicht einfach die üblichen Kanäle verfolgen?«
In ein stinkendes Loch an der Brücke gelockt zu werden, war das Letzte, was er jetzt wollte. Die Wasserschutzpolizei, der einzige Teil der Truppe, den die Bürger und Bürgerinnen von London wirklich in ihr Herz geschlossen hatten, wurde von Joe ebenfalls bewundert, aber an diesem Abend wollte er nichts mit ihr zu tun haben. Die Wasserschutzpolizei vereitelte nicht nur Diebstähle, Piraterie und Schmuggel in den Hafenanlagen, sie patroullierten auch die finsteren Winkel der Themse, welche die Unseligen, die es trieb, sich das Leben zu nehmen, als letzte Ruhestätte bevorzugten. Manchmal waren die Schnellboote mit den drei Mann Besatzung so rasch an Ort und Stelle, dass die Leichen herausgefischt wurden, noch bevor sie den letzten Atemzug getan hatten, und in diesem kalten, nach Karbol riechenden, kleinen Steinkabuff bei den Brückenbögen drückten und trommelten die Beamten so lange auf das Opfer ein, das auf dem Rollbett mit Segeltuchbezug lag, bis - ob es das wollte oder nicht - das dunkle Flusswasser aus seinen Lungen spritzte und durch lebensspendenden Sauerstoff ersetzt wurde.
»Die üblichen Kanäle nutzen uns hier nichts, Sir. Wir brauchen Sie. Sie müssen nur einen Blick auf den Leichnam werfen, bevor er ins Leichenschauhaus kommt. Dauert keine Minute und spart uns Stunden.«
»Warum gerade ich?« Joe schauderte. Die Euphorie des Abends war verflogen, ließ nichts in ihm als eine
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