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Die Tote im See

Die Tote im See

Titel: Die Tote im See Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raymond Chandler
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mein
    Sohn.«
    »Dann müßte das Zeug noch hier sein. Aber wenn’s noch hier war,
    hätte Bill bemerkt, daß sie’s nicht mitgenommen hat. Er hätte dann
    wissen müssen, daß sie nicht getürmt ist.«
    »Es sieht, weiß Gott, nicht gut für ihn aus. Wie man’s auch dreht«,
    sagte er.
    »Aber wenn er sie umgebracht hat«, sagte ich, »hätte er das Zeug
    loswerden müssen, das sie mitgenommen hätte, falls sie abgehauen
    wäre.«
    »Und wie hat er das Ihrer Meinung nach gemacht, mein Sohn?«
    Der gelbe Lampenschein verfärbte eine Hälfte seines Gesichts zu Bronze.
    »Wenn ich richtig verstanden habe, hatte sie ihren eigenen Ford.
    Davon abgesehen nehme ich an, daß er verbrannt hat, was zu
    verbrennen war. Und daß er das, was er nicht verbrennen konnte, im Wald vergraben hat. Es in den See zu werfen wäre zu gefährlich
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    gewesen. Aber ihr Auto konnte er weder verbrennen noch vergra‐
    ben. Konnte er denn damit fahren?«
    Patton sah mich überrascht an. »Aber natürlich. Er kann sein rech‐
    tes Knie nicht beugen, so daß er also die Fußbremse nicht sehr gut
    bedienen kann. Aber er konnte mit der Handbremse auskommen.
    Das einzige, was an seinem Ford anders ist, ist das auf die linke Sei‐
    te versetzte Bremspedal. Seins ist gleich bei der Kupplung, damit er
    beide mit dem gleichen Fuß erreichen kann.«
    Ich streifte meine Asche in einer kleinen blauen Dose ab, die, dem
    kleinen goldenen Etikett zufolge, einmal ein Pfund Orangenmarme‐
    lade enthalten hatte.
    »Das Auto loswerden, das war wohl am schwierigsten für ihn«,
    sagte ich. »Wo er’s auch hingeschafft hat, er mußte zu Fuß zurück,
    und er konnte sich kaum leisten, dabei gesehen zu werden. Und wenn er’s einfach auf der Straße stehengelassen hat, nehmen wir mal an, unten, in San Bernardino, hätte man’s sehr schnell gefunden
    und identifiziert. Das konnte er nicht wollen. Der beste Trick wäre der gewesen, den Wagen einem Schwarzhändler zu verscherbeln,
    aber wahrscheinlich kennt er keinen. So hat er seinen Wagen aller Wahrscheinlichkeit nach irgendwo im Wald versteckt, gerade so
    weit, daß er noch zurücklaufen konnte. Und das kann bei seinem Bein nicht schrecklich weit sein.«
    »Für einen, der behauptet, daß ihn das Ganze kaum interessiert, haben Sie ja ein paar ganz nette und richtige Schlüsse gezogen«, sagte Patton trocken. »Jetzt haben wir also den Wagen im Wald versteckt. Was weiter?«
    »Er müßte mit der Möglichkeit rechnen, daß der Wagen entdeckt
    wird. Die Wälder sind zwar einsam, aber Forstbeamte und Holzfäl‐
    ler streifen von Zeit zu Zeit darin herum. Wenn der Wagen entdeckt
    würde, war’s besser, wenn man Muriels Sachen drin fände. Das
    würde ihm eine Reihe von Ausflüchten offen lassen – nicht gerade glänzende, aber zumindest mögliche. Erstens, daß sie von einem
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    Unbekannten umgebracht wurde, der alles so arrangiert hat, daß
    der Verdacht auf Bill fallen mußte, wenn der Mord entdeckt würde.
    Zweitens, das Muriel Chess Selbstmord begangen hat, aber alles so
    arrangiert hat, daß der Verdacht auf ihn fällt. Selbstmord aus Rache.«
    Patton überdachte alles, was ich gesagt hatte, in aller Ruhe und Sorgfalt. Er ging wieder zur Tür, um seine Kinnbacken zu entladen.
    Er setzte sich wieder und fuhr sich erneut in die Haare. Dann sah er
    mich voller Skepsis an.
    »Das erste ist vorstellbar, so wie Sie’s gesagt haben«, stimmte er zu. »Aber ich kann’s mir grade noch vorstellen, und ich kann mir niemand vorstellen, der’s gewesen sein könnte. Und dann bleibt da
    noch die Kleinigkeit mit dem Zettel, um die wir nicht rumkommen.«
    Ich schüttelte den Kopf. »Nehmen wir mal an, daß Bill den Zettel
    von einer anderen Gelegenheit hatte. Nehmen wir weiter an, daß sie, jedenfalls nach seiner Vorstellung, abgehauen ist, ohne was zu hinterlassen. Nachdem ein Monat vergangen war, ohne daß er auch
    nur ein Wort von ihr gehört hatte, könnte er so durchgedreht und unsicher gewesen sein, daß er den Zettel einfach in dem Gefühl vor-zeigte, das würde ihn ein wenig schützen, falls ihr etwas zugestoßen
    wäre. Er hat zwar nichts in dieser Richtung gesagt, aber er könnte sich so was Ähnliches überlegt haben.«
    Patton schüttelte den Kopf. Es schmeckte ihm nicht. Und mir genauso wenig. Langsam sagte er: »Und was Ihre zweite Vermutung
    angeht, die ist einfach verrückt. Sich selbst umzubringen und die Sache so zu drehen, daß jemand anderer wegen Mord angeklagt
    wird, das paßt doch mit meinen

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