Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Tote im See

Die Tote im See

Titel: Die Tote im See Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raymond Chandler
Vom Netzwerk:
simpelsten Vorstellungen von der menschlichen Natur nicht zusammen.«
    »Vielleicht sind Ihre Vorstellungen von der menschlichen Natur
    doch zu simpel«, sagte ich. »Weil es nämlich so was schon gegeben
    hat. Und wenn es das gegeben hat, war’s fast immer eine Frau, die
    es tat.«
    82
    »Nein«, sagte er. »Ich bin ein Mann, der fünfundsiebzig Jahre auf
    dem Buckel hat, und mir sind jede Menge Verrückte übern Weg
    gelaufen. Aber dafür gebe ich keinen Pfifferling. Mir leuchtet eher ein, daß sie weggehen wollte und den Zettel auch geschrieben hat, er sie jedoch erwischte, als sie einpackte. Da hat er rot gesehen und
    sie fertiggemacht. Danach mußte er dann all das tun, worüber wir gesprochen haben.«
    »Ich habe sie nicht gekannt«, sagte ich. »Deshalb habe ich auch keine Ahnung, welche Handlungsweise ihr ähnlich sieht. Bill hat mir erzählt, daß er sie in einem Lokal in Riverside ungefähr vor einem Jahr kennengelernt hat. Es könnte gut sein, daß sie damals lan‐
    ge und komplizierte Geschichten hinter sich hatte. Was war sie für
    ein Mädchen?«
    »Eine richtig süße kleine Blondine, wenn sie zurechtgemacht war.
    Daß sie sich Bill nahm, war sicher ein Abstieg für sie. Ein ruhiges Mädchen mit einem Gesicht, das seine Geheimnisse zu bewahren
    versteht. Bill erzählt, daß sie unbeherrscht sein konnte, aber ich hab
    nie was davon gemerkt. Aber ihn hab ich oft scheußlich unbe‐
    herrscht gesehen.«
    »Und was glauben Sie – hat sie dem Foto von jemand geähnelt, der Mildred Haviland hieß?«
    Seine Kinnbacken hörten auf zu mahlen, und sein Mund war auf
    einmal starr zusammengepreßt. Sehr langsam begann er wieder zu
    kauen.
    »Ich muß, weiß Gott, mächtig aufpassen«, sagte er, »und unter
    mein Bett schauen, bevor ich in der Nacht hineinkrieche. Um sicher‐
    zugehen, daß Sie nicht drunter stecken. Woher wissen Sie denn das
    schon wieder?«
    »Ein nettes kleines Mädchen, das Birdie Keppel heißt, hat’s mir er‐
    zählt. Sie hat mich für ihre Nebenbeschäftigung als Journalistin in-terviewt. Zufällig, hat sie dabei auch erwähnt, daß jemand von der
    Kripo aus L. A. De Soto hieß er, hier mit dem Foto hausieren ging.«
    83
    Patton klatschte auf sein dickes Knie und beugte seine Schulter nach vorne.
    »Das war nicht recht von mir«, sagte er trocken. »Es war ein Feh‐
    ler. Dieser große Angeber hat das Bild so gut wie jedem im Dorf gezeigt, bevor er damit zu mir kam. Deshalb war ich ein wenig sauer. Sicher, da war ’ne Ähnlichkeit mit Muriel, aber sie war nicht so
    groß, daß man auch nur im entferntesten seiner Sache sicher sein konnte. Ich fragte ihn, weswegen sie gesucht wird. Er sagte, das sei
    Angelegenheit der Polizei. Ich sagte, ich sei zufällig in der gleichen
    Branche tätig, wenn auch als unbeholfner Hinterwäldler. Er sagte, sein Auftrag sei es, herauszufinden, wo sich die Dame aufhalte, und
    mehr wisse er auch nicht. Vielleicht war es nicht recht von ihm, daß
    er so kurz angebunden mit mir war. Aber ich denke, es war auch nicht recht von mir, ihm weiszumachen, ich kenne niemand, der wie
    sein kleines Bild aussieht.«
    Der große ruhige Mann lächelte unbestimmt zur Decke in der Ek‐
    ke, brachte dann seinen Blick wieder herunter und sah mich fest an.
    »Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie meine Offenheit respektieren
    könnten, Mr. Marlowe. Davon abgesehen, waren Ihre Schlußfolge‐
    rungen gar nicht so übel. Waren Sie zufällig schon mal drüben in Coon Lake?«
    »Ich höre den Namen zum ersten Mal.«
    »Ungefähr ’ne Meile da hinten«, sagte er und deutete mit seinem
    Daumen über die Schulter, »führt ein enger kleiner Holzweg rüber
    nach Westen. Man streift beim Fahren fast die Bäume auf beiden Seiten. Der Weg steigt eine weitere Meile lang ungefähr noch fünfhundert Fuß an und endet in Coon Lake. Ein hübscher kleiner Fleck.
    Ab und zu fahren Leute zum Picknick hinauf, aber eigentlich nicht
    sehr oft. Es geht zu sehr an die Reifen. Es gibt dort zwei, drei kleine seichte Seen, die voller Schilf sind. Und sogar um diese Jahreszeit liegt da oben an den schattigen Stellen Schnee. Dort stehen ein paar
    einfache Hütten aus rohem Holz, die schon verfallen sind, seit ich 84
    mich erinnern kann. Und ein großes halbverfallenes Fachwerkge‐
    bäude, wo die Montclair University vor Jahren ihre Sommerkurse
    veranstaltet hat. Doch das ist lange her. Dieses Gebäude liegt ein Stückchen hinter den Seen im dichten Gehölz. An seiner Rückseite ist eine Art Waschküche

Weitere Kostenlose Bücher