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Die Tote im See

Die Tote im See

Titel: Die Tote im See Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raymond Chandler
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auch ihr eigenes Auto. Zudem ist diese Überlegung, die
    sowieso schon auf schwachen Füßen stand, durch eine andere Ent‐
    deckung total über den Haufen geworfen worden. Muriel Chess ist
    nämlich überhaupt nicht fortgegangen. Sie ist in Ihren kleinen Pri-vatsee untergetaucht. Heute ist sie wieder aufgetaucht. Ich war da‐
    bei.«
    »Ach du gütiger Gott!« Kingsley klang ehrlich erschrocken. »Wol‐
    len Sie damit sagen, daß sie sich ertränkt hat?«
    »Vielleicht. Der Zettel, den sie hinterlassen hat, könnte auf einen Selbstmord deuten. Man kann ihn so, aber auch völlig anders verstehen. Ihre Leiche steckte unter der alten versunkenen Ankerstelle.
    Bill selbst hat ihren sich im Wasser hin und her bewegenden Arm entdeckt, während wir auf dem Pier standen und ins Wasser hinun-terschauten. Er hat sie herausgeholt. Er ist verhaftet worden. Der arme Kerl ist ganz schön fertig.«
    »Gütiger Gott!« sagte Kingsley erneut. »Ich kann mir vorstellen, wie ihn das mitgenommen haben muß. Sieht es so aus, als ob er…«
    Er wurde unterbrochen, weil sich die Vermittlung einschaltete und
    weitere fünfundvierzig Cent verlangte. Ich warf zwei Vierteldollar‐
    stücke ein, und die Leitung wurde wieder frei.
    »Als ob was?«
    Kingsleys Stimme, die auf einmal sehr nah und deutlich klang,
    sagte: »… sie umgebracht hat?«
    »Es sieht sehr so aus. Jim Patton, dem Sheriff hier oben, gefällt der
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    Abschiedsbrief überhaupt nicht, weil kein Datum drauf ist. Sie ist ihm, scheint’s, schon mal durchgebrannt, wegen irgendeiner Wei-bergeschichte. Patton glaubt wohl, daß Bill einfach den alten Zettel
    aufgehoben hat. Jedenfalls haben sie Bill nach San Bernardino zum
    Verhör runtergeschafft. Und die Leiche haben sie für die Obduktion
    ebenfalls runtergeschafft.«
    »Und wie denken Sie darüber?« fragte er langsam.
    »Bill selbst hat die Leiche entdeckt. Er brauchte mich nicht zum Pier zu führen. Sie hätte also gut länger im Wasser bleiben können.
    Sogar für immer. Der Zettel könnte genausogut alt aussehen, weil Bill ihn dauernd mit sich herumtrug und ihn oft in die Hand nahm,
    um darüber zu brüten. Er könnte genausogut diesmal undatiert ge‐
    schrieben worden sein wie das letzte Mal. Ich glaube sogar, daß sol‐
    che Zettel meist undatiert sind. Wer so was schreibt, hat es meist ziemlich eilig und macht sich über das Datum nicht mehr viel Kopf-zerbrechen.«
    »Der Leichnam muß doch schon in einem ziemlich üblen Zustand
    sein. Was kann man da noch rausfinden?«
    »Das kommt drauf an, wie gut sie technisch ausgerüstet sind. Sie
    können rausfinden, ob sie ertrunken ist, vermute ich. Und ob es ir‐
    gendwelche Anzeichen für Verletzungen gibt, die vom Wasser und
    durch die Verwesung noch nicht völlig zerstört sind.
    Man kann immer noch sehen, ob sie erschossen oder erstochen
    worden ist. Wenn der Halswirbelknochen gebrochen ist, kann man
    vermuten, daß sie erdrosselt wurde. Für uns jedoch ist die Hauptsa‐
    che, daß ich ihnen erzählen muß, warum ich hierher gekommen bin.
    Ich werde eine Zeugenaussage beim Verhör machen müssen.«
    »Das ist schlecht«, brummte Kingsley. »Sehr schlecht sogar. Was wollen Sie als nächstes tun?«
    »Auf der Heimfahrt will ich beim Prescott Hotel halten und zuse‐
    hen, ob ich dort irgendwas herauskriegen kann. Hat sich Ihre Frau
    gut mit Muriel Chess vertragen?«
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    »Ich glaube schon. Crystal ist so oberflächlich, daß sie sich mit den
    meisten gut verträgt. Muriel Chess kenne ich kaum.«
    »Haben Sie je eine Frau namens Mildred Haviland kennenge‐
    lernt?«
    »Wie war der Name?«
    Ich wiederholte den Namen.
    »Nein«, sagte er. »Warum sollte ich sie kennen?«
    »Für jede Frage, die ich Ihnen stelle, handle ich mir eine Gegenfra‐
    ge ein«, sagte ich. »Nein, Sie müssen Mildred Haviland nicht kennen. Besonders dann nicht, wenn Sie Muriel Chess kaum gekannt
    haben. Ich rufe Sie morgen früh wieder an.«
    »Tun Sie das«, sagte er und zögerte. »Es tut mir leid, daß Sie in ein
    solches Schlamassel geraten mußten.« Und dann zögerte er aber‐
    mals und sagte gute Nacht und legte auf.
    Sofort klingelte das Telefon, und das Mädchen von der Fernver‐
    mittlung sagte in ungnädig scharfem Ton, daß ich fünf Cents zuviel
    eingeworfen hätte. Ich gab ihr kräftig raus – was man so in etwa bei
    einer derart umwerfenden Eröffnung einwirft. Ich zahle gern in
    gleicher Münze, sie steckte es nur ungern ein.
    Ich ging aus der Zelle hinaus und versorgte

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