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Die Tote im See

Die Tote im See

Titel: Die Tote im See Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raymond Chandler
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Mädchen leicht zu Tode würgen, ohne daß er’s wirklich vorhat. Er hat mächtig kräftige Hände. Nachdem es passiert war, mußte er allen Verstand anstrengen, den Gott ihm verliehen hat, um
    zu verbergen, was er getan hatte. Mir wird ganz übel, wenn ich nur
    dran denke, aber das ändert weder die Fakten noch die Wahrschein‐
    lichkeit. So klingt es einfach und natürlich, und natürliche Dinge erweisen sich meist als richtig.«
    Ich sagte: »Ich würde denken, daß er dann weggelaufen wäre. Ich
    kann nicht glauben, daß er es ausgehalten hätte, hier oben zu bleiben.«
    Patton spuckte in den dunklen Samtschatten eines Man‐
    zanitastrauchs. Langsam sagte er: »Er hat eine Pension von der Re‐
    gierung, und hätte also auch vor der weglaufen müssen. Und die meisten Menschen können das aushaken; was sie aushaken müssen,
    wenn’s soweit ist und ihnen direkt vor Augen steht. Wir erleben das
    ja im Augenblick auf der ganzen Welt. Aber nun gute Nacht! Ich will noch runter zum kleinen Pier gehen und dort ein Weilchen im
    Mondlicht stehen und die traurige Geschichte überdenken. Eine
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    herrliche Nacht wie diese, und wir müssen uns mit einem Mord be‐
    schäftigen!«
    Er ging leise in die Schatten hinein, bis er selbst ein Teil von ihnen
    wurde. Ich blieb stehen, bis er nicht mehr zu sehen war, ging dann
    zurück zum verschlossenen Gatter und kletterte drüber. Ich setzte mich in meinen Wagen, fuhr die Straße zurück und hielt dabei nach
    einem Versteck Ausschau.
    Dreihundert Schritt vom Gatter entfernt mündete ein enger Pfad, der mit braunem Eichenlaub vom letzten Herbst bedeckt war, in die
    Straße und verschwand hinter einem Granitbrocken. Ich bog in den
    Pfad und holperte fünfzig oder sechzig Fuß über das Gestein, das aus dem Boden drang, drehte dann den Wagen um einen Baum und
    blieb stehen, als er die Nase wieder in die Richtung hielt, aus der ich gekommen war.
    Ich löschte die Lichter, stellte den Motor ab und saß da und warte‐
    te.
    Eine halbe Stunde verging. Ohne Rauchen schien das eine lange
    Zeit. Dann hörte ich weit entfernt einen Motor anspringen und lau‐
    ter werden, und der weiße Strahl seiner Scheinwerfer fuhr unter mir
    auf der Straße vorbei. Sein Geräusch verlor sich in der Ferne, und ein schwacher trockener Hauch von Abgasen hing noch einen Augenblick in der Luft, nachdem der Wagen verschwunden war.
    Ich stieg aus dem Wagen, stiefelte zurück zum Gatter und zum
    Chess‐Haus. Das von mir eingedrückte Fenster ließ sich diesmal mit
    einem kräftigen Stoß öffnen. Ich stieg erneut ein, ließ mich auf den
    Boden gleiten und tastete mich mit der Taschenlampe, die ich mit-gebracht hatte, durch das Zimmer bis zur Tischlampe vor. Ich mach‐
    te Licht, lauschte einen Augenblick, hörte nichts und ging hinaus in
    die Küche. Ich drehte eine nackte Birne über dem Spülstein an.
    Die Holzkiste neben dem Herd war säuberlich mit Holzscheiten
    aufgefüllt. Im Aufguß standen keine schmutzigen Teller, keine
    schlechtriechenden Töpfe auf dem Herd. Bill Chess hielt sein Haus,
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    ob er sich verlassen fühlte oder nicht, peinlich in Ordnung. Eine Tür
    führte von der Küche aus ins Schlafzimmer, und von dort ging eine
    sehr schmale Tür in ein winziges Badezimmer, das augenscheinlich
    erst kürzlich eingebaut worden war. Die sauberen Begrenzungslini‐
    en der Celotex‐Isolationsplatten deuteten darauf hin. Sonst sagte mir
    das Badezimmer überhaupt nichts.
    Das Schlafzimmer enthielt ein Doppelbett, einen Toilettentisch aus
    Fichtenholz, mit einem runden Spiegel an der Wand darüber, einen
    Kleiderschrank, zwei einfache Stühle und einen Abfallkorb aus
    Zinn. Auf dem Boden lagen zwei ovale Vorleger auf beiden Seiten der Betten. An den Wänden hatte Bill Chess eine ganze Reihe Karten
    vom Kriegsschauplatz aus dem National Geographie angeheftet.
    Den Toilettentisch zierte eine albern aussehende weißrote Borte.
    Ich kramte in den Schubladen herum. Ein Schmuckkästchen aus
    Lederimitation mit einer Ansammlung von billigem Schmuck war
    zurückgeblieben. Dann gab es den üblichen Kram, den Frauen für ihr Gesicht, ihre Fingernägel und Augenbrauen brauchen. Mir
    schien, daß es zuviel davon gab. Aber das war nur so eine Vermu‐
    tung. Im Kleiderschrank hingen sowohl Kleider wie Männersachen,
    von beiden nicht gerade viel. Bill Chess besaß unter anderem ein schreiend buntkariertes Hemd mit dem dazugehörigen steifen Kragen. Unter einem Bogen von blauem Seidenpapier in einer Ecke
    fand

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