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Die Tote im See

Die Tote im See

Titel: Die Tote im See Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raymond Chandler
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ich etwas, das mir überhaupt nicht gefiel. Einen augen‐
    scheinlich nagelneuen, pfirsichfarbenen, mit Spitzen besetzten Seidenschlüpfer. Es war nicht die Zeit, in der man Seidenschlüpfer achtlos zurückließ. Jedenfalls taten das Frauen ihres Typs nicht.
    Das sah schlecht für Bill Chess aus. Ich versuchte mir vorzustellen,
    was sich wohl Patton dabei gedacht hatte.
    Ich ging rasch zurück in die Küche und durchforstete die offenen
    Regale über und neben dem Spülstein. Sie waren voller Büchsen
    und Töpfe mit Haushaltsdingen. Der Einmachzucker war in einer
    viereckigen braunen Dose mit einer beschädigten Ecke. Patton hatte
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    einen Versuch unternommen, sauberzumachen, was er verschüttet
    hatte. Neben dem Zucker standen Salz, Soda, Backpulver, Maispul‐
    ver, brauner Zucker und so weiter. In allem konnte etwas versteckt
    sein.
    Etwas, das aus einem Fußketten gezwickt worden war, dessen ge‐
    trennte Enden nicht mehr zusammenpaßten.
    Ich schloß die Augen, streckte einen Finger auf gut Glück aus und
    erwischte das Backpulver. Ich griff mir eine Zeitung aus dem Rück‐
    teil der Kochkiste, breitete sie aus und schüttete das Backpulver aus
    der Büchse. Ich stocherte mit einem Löffel drin herum. Es schien unverschämt viel Backpulver zu sein, aber das war auch alles. Ich trichterte es zurück in die Büchse und versuchte es mit dem Borax.
    Borax und sonst nichts. Aller guten Dinge sind drei. Ich versuchte das Maispulver. Es gab viel zuviel feinen Staub und nichts außer Maispulver.
    Der Klang von entfernten Schritten ließ mich bis zu den Fußspitzen frösteln. Ich schnellte hoch, löschte das Licht, hechtete zurück ins Wohnzimmer und stürzte zum Lampenschalter. Viel zu spät, als
    daß es noch was geholfen hätte, natürlich. Wieder hörte man die Schritte, leise und vorsichtig. Mir stiegen die Nackenhaare hoch.
    Ich wartete in der Dunkelheit, die Taschenlampe in der linken
    Hand. Tödlich lange zwei Minuten krochen vorbei. Einen Teil der Zeit war ich mit Atmen beschäftigt, aber beileibe nicht die ganze Zeit.
    Patton konnte es nicht sein. Er wäre schnurstracks zur Tür gekommen, hätte sie geöffnet und mich rausgeworfen. Die vorsichtigen Schritte schienen sich bald hierhin, bald dorthin zu bewegen, ein Schritt, eine lange Pause, wieder ein Schritt, wieder eine lange Pause.
    Ich schlich mich zur Tür und drehte vorsichtig den Türknopf. Ich
    zog die Tür weit auf und leuchtete mit der Taschenlampe unvermit‐
    telt hinaus.
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    Sie verwandelte ein Augenpaar in goldene Laternen. Dann hörte
    man einen Sprung und ein schnelles dumpfes Trommeln von Hu‐
    fen, die zwischen den Bäumen verhallten. Es war nur ein spionierendes Reh gewesen.
    Ich schloß die Tür wieder und folgte meinem Stablichtstrahl zu-rück in die Küche. Der kleine runde Lichtfleck blieb mitten auf der
    Büchse mit dem Einmachzucker stehen.
    Ich machte wieder Licht, nahm die Büchse herunter und leerte sie
    in das Zeitungspapier.
    Patton hatte nicht tief genug gewühlt. Nachdem er eine Sache
    durch Zufall gefunden hatte, dachte er, daß das alles sei. Es schien
    ihm gar nicht in den Sinn gekommen zu sein, daß da noch etwas sein mußte.
    Ein weiteres Päckchen aus weißem Seidenpapier lag in dem feinen
    weißen Staubzucker. Ich schüttelte den Zucker ab und öffnete es. Es
    enthielt ein winziges Goldherz, nicht größer als der kleine Fingerna‐
    gel einer Frau.
    Ich löffelte den Zucker zurück in die Büchse, stellte ihn zurück ins Regal und knäulte das Zeitungspapier in den Herd. Ich ging ins Wohnzimmer und machte die Tischlampe an. Unter ihrem helleren Licht konnte man etwas winzig Eingraviertes auf der Rückseite des kleinen
    goldenen Herzens gerade noch ohne Vergrößerungsglas lesen.
    Es war Schreibschrift und sie besagte: »Von AI für Mildred. 28. Ju‐
    ni 1938. Mit all meiner Liebe.«
    Von AI für Mildred. AI Irgendwer für Mildred Haviland. Mildred
    Haviland war Muriel Chess. Muriel Chess war tot zwei Wochen,
    nachdem ein Polizist namens De Soto nach ihr gesucht hatte.
    Ich stand da, während ich das Herz in der Hand hielt, und über‐
    legte, was es mit mir zu tun hätte. Ich überlegte und hatte nicht die
    leiseste Ahnung.
    Ich wickelte es wieder ein, verließ das Haus und fuhr zurück ins Dorf.
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    Patton war in seinem Büro und telefonierte, als ich bei ihm ankam.
    Die Tür war verschlossen. Ich mußte warten, solange er sprach.
    Nach einer Weile hängte er ein und kam die Tür aufschließen.
    Ich folgte ihm

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