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Die Tote im See

Die Tote im See

Titel: Die Tote im See Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raymond Chandler
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frei. Ein andrer Junge, den wir Les rufen, hatte ihre Anreise. Er
    ist hier.«
    »Okay. Schieß ihn bitte rauf!«
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    Ich spielte mit meinem zweiten Drink und dachte schon an den
    dritten, als es klopfte und ich einem kleinen grünäugigen Schleimer
    mit einem kleinen Mädchenmund die Tür öffnete.
    Er kam fast tänzelnd ins Zimmer, stand da und sah mich leicht höhnisch an.
    »Einen Drink?«
    »Klar«, sagte er kühl. Er goß sich selbst einen kräftigen Schuß ein,
    dem er einen Hauch Ginger Ale beigab, kippte diese Mischung in einem einzigen langen Zug runter, klemmte sich eine Zigarette zwischen seine weichen kleinen Lippen und schnippte das Streichholz an, während er es aus der Tasche zog. Er blies den Rauch von sich
    und sah mich weiter unverwandt an. Mit einem Augenwinkel erfaß‐
    te er das Geld auf dem Bett, ohne direkt hinzuschauen. Auf seine Hemdtasche war anstelle einer Nummer das Wort ›Captain‹ gestickt.
    »Sie sind Les?« fragte ich ihn.
    »Nein«, er machte eine Pause. »Wir haben Schnüffler hier nicht be‐
    sonders gern«, fügte er hinzu. »Wir beschäftigen keinen eignen, und
    wir haben erst recht keine Lust, uns mit Schnüfflern zu ärgern, die
    für andre Leute arbeiten.«
    »Danke«, sagte ich, »das war alles.«
    »Hmh?« Der kleine Mund verzog sich unangenehm.
    »Verdrück dich«, sagte ich.
    »Ich dachte, Sie wollten mich sprechen«, meinte er höhnisch.
    »Sind Sie der Captain der Hausdiener?«
    »Sie können’s ja nachprüfen.«
    »Ich wollte Ihnen einen Drink spendieren. Und ich wollte Ihnen einen Taler geben. Hier«, ich hielt ihm einen Dollar entgegen. »Und
    danke fürs Raufkommen.«
    Er nahm den Dollar und steckte ihn ohne sich zu bedanken in die
    Tasche. Er lehnte mit einem verkniffenen, gemeinen Blick an der Tür
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    und rauchte, indem er den Rauch durch die Nase zog.
    »Hier läuft nur, was ich sage«, sagte er.
    »Aber es läuft nur so weit, wie Sie’s schieben können«, sagte ich.
    »Und das kann nicht sehr weit sein. Sie hatten Ihren Drink und hat‐
    ten Ihr Schmiergeld. Jetzt können Sie verschwinden.«
    Er drehte sich mit einem raschen, leichten Achselzucken um und schlüpfte geräuschlos aus dem Zimmer.
    Vier Minuten verstrichen, dann klopfte es wieder. Sehr leise. Der lange Hausdiener kam grinsend herein. Ich setzte mich wieder aufs
    Bett.
    »Les hat Ihnen nicht gefallen, schätze ich?«
    »Nicht übermäßig. Ist er genug geschmiert?«
    »Ich schätze ja. Sie wissen ja, wie die Captains sind. Sie müssen ih‐
    ren Schnitt haben. Vielleicht nennen Sie lieber mich Les, Mr. Marlo‐
    we.«
    »Also haben Sie sie bei der Abreise ausgebucht?«
    »Nein, das war nur so ein Ablenkungsschwindel. Sie hat sich hier
    nie eingetragen. Aber ich erinnerte mich an den Packard. Sie hat mir
    ’n Dollar gegeben, damit ich ihren Wagen in die Garage fahre und auf ihr ganzes Zeug aufpasse, bis der Zug geht. Sie hat hier zu Abend gegessen. Für einen Dollar vergißt man einen hier nicht so schnell. Außerdem gab’s Gerede danach. Weil sie den Wagen hier so
    lange stehengelassen hat.«
    »Wie hat sie etwa ausgesehen?«
    »Sie hatte ein schwarzweißes Kostüm an, mehr weiß, einen Pana‐
    mahut mit einem schwarzweißen Band. Sie war ’ne hübsche blonde
    Dame, wie Sie gesagt haben. Später hat sie ’ne Droschke zum Bahn‐
    hof genommen. Ich hab für sie das Gepäck eingeladen. Die Koffer hatten Initialen, aber, es tut mir leid, an die kann ich mich nicht erinnern.«
    »Ich bin heilfroh, daß Sie’s nicht können«, sagte ich. »Das wäre zu
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    viel des Guten. Nehmen Sie sich doch noch einen! Wie alt war sie etwa?«
    Er spülte sich das zweite Glas aus und mixte sich einen zivilisier‐
    ten Drink.
    »Verteufelt schwer zu sagen, wie alt eine Frau ist, heutzutage«, sagte er. »Ich schätze, sie war so um die dreißig. Oder ein bißchen drüber. Oder ein bißchen drunter.«
    Ich grub in meiner Tasche nach dem Foto von Crystal und Lavery
    am Strand und gab es ihm.
    Er betrachtete es geduldig, legte es dann zur Seite und schloß die
    Augen. »Sie müssen’s nicht vor Gericht beschwören«, sagte ich.
    Er nickte. »Das würd ich auch nicht wollen. Diese kleinen Blondi‐
    nen sind alle nach dem gleichen Muster gestrickt, ’ne kleine Verän‐
    derung der Kleider, des Lichts oder des Make‐ups läßt sie alle gleich
    oder alle verschieden aussehen.« Er zögerte und blickte auf das Bild.
    »Stört Sie was?« fragte ich.
    »Ich denke über den Macker auf dem Foto nach. Hat der mit

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