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Die Tote im See

Die Tote im See

Titel: Die Tote im See Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raymond Chandler
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der
    Sache was zu tun?«
    »Sprechen Sie nur munter weiter«, sagte ich.
    »Ich denke, daß dieser Kerl mit ihr in der Halle gesprochen hat und daß sie zusammen zu Abend gegessen haben. Ein großer, gutaussehender Knülch, der wie ’n verkommenes Mittelgewicht gebaut
    war. War auch in der Droschke mit ihr.«
    »Das wissen Sie ganz sicher?«
    Er sah nach dem Geld auf dem Bett.
    »Okay. Wieviel soll’s denn sein?« fragte ich ungeduldig.
    Er wurde förmlich, legte das Foto hin, zog die beiden gefalteten Scheine aus der Tasche und warf sie aufs Bett.
    »Ich bedanke mich für den Drink«, sagte er. »Und hol Sie der Henker!« Und er ging zur Tür.
    »Nun setzen Sie sich wieder hin und seien Sie nicht so empfind-99
    lich«, brummte ich.
    Er setzte sich hin und sah mich steif an.
    »Und seien Sie kein so verdammter Südstaatler«, sagte ich. »Ich hab seit Jahren Pagen und Hausdiener bis zum Gehtnichtmehr getroffen. Wenn ich einen getroffen hätte, der keinen Spaß verstanden
    hätte, war das in Ordnung. Aber Sie können nicht erwarten, daß ich
    erwarte, einem Pagen zu begegnen, der keinen Spaß versteht.«
    Er grinste langsam und nickte schnell. Er nahm das Foto wieder in
    die Hand und sah mich an.
    »Der Macker ist auf dem Foto gut zu erkennen«, sagte er. »Viel besser als die Dame. Aber da war noch ’ne Kleinigkeit, durch die ich
    mich an ihn erinnere. Ich hatte den Eindruck, daß die Dame nicht sehr glücklich darüber war, daß er so offen in der Halle auf sie zukam.«
    Ich dachte darüber nach und kam zu dem Schluß, daß es nicht viel
    zu bedeuten hätte. Er konnte sich verspätet haben oder war zu einer
    früheren Verabredung nicht erschienen. Ich sagte:
    »Dafür gibt’s Gründe. Haben Sie sich gemerkt, was für Schmuck
    die Dame trug? Ringe, Ohrringe? Irgendwas, das auffallend oder
    wertvoll aussah?«
    Er habe nichts bemerkt, sagte er.
    »Hatte sie lange oder kurze Haare, trug sie sie glatt, gewellt oder
    in Locken? Waren sie naturblond oder gebleicht?«
    Er lachte: »Teufel, was Sie zuletzt gefragt haben, das kann man doch nicht wissen, Mr. Marlowe. Selbst wenn’s Natur ist, wollen sie’s noch blonder. Was das andere betrifft, so hatte sie, wenn ich mich richtig erinnere, eher lange Haare, so wie man’s jetzt trägt.
    Unten waren sie leicht eingedreht, sonst aber glatt. Aber ich kann mich irren.« Er sah sich wieder das Foto an. »Hier hat sie’s zurück-gebunden. Über Frisuren läßt sich kaum was sagen.«
    »Das ist wahr«, sagte ich. »Und es gibt nur einen einzigen Grund,
    warum ich Sie danach frage. Ich wollte nämlich sichergehen, daß Sie
    100
    nicht zu viel beobachtet haben. Wer sich an zu viele Einzelheiten erinnert, ist ein genauso schlechter Zeuge wie der, der überhaupt nichts sieht. Weil er fast die Hälfte dazu erfindet. Sie haben ziemlich gut beobachtet, unter den gegebenen Umständen. Ich danke Ihnen
    vielmals.«
    Ich gab ihm seine zwei Dollar wieder und fünf dazu, damit sie Ge‐
    sellschaft hätten. Er bedankte sich, trank sein Glas aus und ging leise weg. Ich trank ebenfalls aus, wusch mich wieder und beschloß, lieber nach Hause zu fahren, als in diesem Loch zu übernachten. Ich zog Hemd und Jacke an und fuhr mit meinem Koffer nach unten.
    Der schleimige rothaarige Captain war als einziger in der Halle.
    Ich trug meinen Koffer zum Empfangstisch, und er rührte sich nicht,
    ihn mir abzunehmen. Der eierköpfige Portier trennte mich von zwei
    Dollar, ohne auch nur zu mir aufzusehen.
    »Zwei Dollar, um eine Nacht in diesem Loch zu verbringen«, sagte
    ich. »Wo ich doch einen schönen luftigen Mülleimer umsonst hätte
    haben können.«
    Der Portier gähnte, zeigte eine verspätete Reaktion und sagte dann
    freundlich: »So gegen drei Uhr morgens wird es ziemlich kühl hier.
    Und dann ist es bis acht oder sogar neun ziemlich angenehm.«
    Ich wischte mir den Nacken trocken und wankte hinaus zu mei‐
    nem Wagen. Sogar sein Sitz war um Mitternacht noch heiß.
    Ich kam gegen zwei Uhr fünfundvierzig zu Hause an, und Holly‐
    wood war ein Kühlschrank. Sogar Pasadena hatte kühl gewirkt.
    Ich träumte, daß ich weit unten in den Tiefen des eiskalten grünen
    Wassers wäre, mit einer Leiche unter meinem Arm. Die Leiche hatte
    lange blonde Haare, die immerzu mein Gesicht umfluteten. Ein un‐
    geheurer Fisch mit hervorquellenden Augen, einem gedunsenen
    Körper und verwesenden Schuppen schwamm herum und warf
    schräge Blicke um sich wie ein alternder Schürzenjäger. Gerade als
    ich fast

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