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Die Tote im See

Die Tote im See

Titel: Die Tote im See Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raymond Chandler
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freundlich und nickte: »Natürlich. Mildred Haviland.
    Erinnerst du dich nicht, Eustache?«
    Er erinnerte sich nicht. Er sah wie ein Pferd aus, das man in den falschen Stall geführt hat. Er öffnete die Tür und sagte: »Was spielt
    das schon für eine Rolle?«
    »Und Sie haben gesagt, daß Talley klein war«, bohrte ich weiter.
    »Er könnte beispielsweise nicht auch als ein großer lauter Angeber mit aufdringlichem Benehmen gelten?«
    »O nein«, sagte Mrs. Grayson. »Mr. Talley ist höchstens mittel-groß, er ist mittleren Alters, hat braunes Haar und eine sehr leise Stimme. Er sah immer wie besorgt aus. Ich meine, er sah so aus, als
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    ob er immer so aussähe.«
    »Sieht so aus, als ob er allen Grund dazu hätte«, sagte ich.
    Grayson streckte seine knochige Hand aus, und ich schüttelte sie.
    Es war, als ob man einem Handtuchhalter die Hand schüttelte.
    »Wenn Sie ihn erwischen«, sagte er und preßte seinen Mund fest auf den Pfeifenstiel, »verständigen Sie uns und schicken die Rechnung. Wenn Sie Almore erwischen, meine ich natürlich.«
    Ich sagte, ich hätte verstanden, daß er Almore gemeint habe, und
    daß er auf keinen Fall eine Rechnung bekäme.
    Ich ging den stillen Flur entlang. Der Fahrstuhl war mit rotem Plüsch ausgeschlagen. Er roch nach einem älteren Parfüm – wie drei
    Witwen beim Teetrinken.

    Das Haus in der Westmore Street war ein kleines Fachwerkhaus
    hinter einem größeren Haus. An dem kleineren Haus war keine
    Nummer zu sehen, aber das größere davor zeigte eine ausgestanzte
    1618 und hinter dem Schild ein schwaches Licht. Ein schmaler Be-tonweg führte unter den Fenstern vorbei zum kleinen Hinterhaus.
    Es hatte eine winzige Vorveranda, auf der ein vereinzelter Sessel stand. Ich stieg zur Veranda hinauf und klingelte.
    Ich hörte es ganz nah klingeln. Die Haustür hinter der Gazetür war offen, aber es war dunkel. Aus der Dunkelheit sagte eine mürri-sche Stimme:
    »Was ist?«
    Ich sprach in die Dunkelheit: »Ist Mr. Talley da?«
    Die Stimme wurde matt und tonlos: »Wer will ihn sprechen?«
    »Ein Freund.«
    Die Frau drinnen in der Dunkelheit gab einen unbestimmten Laut
    von sich, der so etwas wie Belustigung sein mochte. Vielleicht hatte
    sie sich auch nur geräuspert.
    »Okay«, sagte sie. »Wieviel ist es denn diesmal?«
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    »Es ist keine Rechnung, Mrs. Talley. Sie sind doch Mrs. Talley?«
    »Ach, haun Sie schon ab und lassen Sie mich in Ruhe«, sagte die Stimme. »Mr. Talley ist nicht hier. Er war nicht hier und er wird auch nicht hier sein.«
    Ich drückte meine Nase an den Fliegendraht und versuchte hin‐
    einzuspähen. Ich konnte die verschwommenen Umrisse der Möbel
    sehen. Dort, von wo die Stimme herkam, sah man so etwas wie eine
    Couch. Eine Frau lag darauf. Sie schien auf dem Rücken zu liegen und zur Decke zu starren. Sie rührte sich nicht.
    »Ich bin krank«, sagte die Stimme. »Ich hab schon genug Ärger gehabt. Verschwinden Sie und verschonen Sie mich.«
    Ich sagte: »Ich komme gerade von einer Unterhaltung mit den
    Graysons.«
    Eine Weile war es still, nichts rührte sich, dann ein Seufzer. »Von
    denen hab ich nie was gehört.«
    Ich lehnte mich gegen die Gazetür und blickte den schmalen Zementweg zurück zur Straße. Auf der anderen Straßenseite stand
    genau gegenüber ein Wagen, dessen Parklichter an waren. Andere
    Wagen standen längs des Blocks.
    Ich sagte: »Doch. Sie haben von ihnen gehört, Mrs. Talley. Ich ar‐
    beite für sie. Sie sind immer noch am Ball. Und wie steht’s mit Ihnen? Wollen Sie nicht auch was wiederbekommen?«
    Die Stimme sagte: »Ich will, daß man mich in Ruhe läßt.«
    »Ich brauche eine Auskunft«, sagte ich. »Und ich werde sie bekommen. Ohne Krach, wenn’s geht. Und mit Krach, wenn’s nicht
    ohne Krach geht.«
    Die Stimme sagte: »Schon wieder ein Bulle, eh?«
    »Sie wissen ganz genau, daß ich kein Bulle bin. Die Graysons
    würden sich kaum mit einem Bullen unterhalten. Rufen Sie sie doch
    an und fragen Sie sie.«
    »Ich kenn die überhaupt nicht«, sagte die Stimme. »Und wenn ich
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    sie kennen würde, hab ich kein Telefon. Hauen Sie ab, Sie Bulle. Ich
    bin krank. Einen ganzen Monat schon krank.«
    »Ich heiße Marlowe«, sagte ich. »Philipp Marlowe. Ich bin Privat‐
    detektiv in Los Angeles. Ich habe mit den Graysons gesprochen. Ich
    hab schon was in der Hand, aber ich möchte mit Ihrem Mann spre‐
    chen.«
    Die Frau auf der Couch stieß einen schwachen Lacher aus, der es
    kaum durch das Zimmer schaffte. »Sie

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