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Die Tote im See

Die Tote im See

Titel: Die Tote im See Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raymond Chandler
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und spielte gern den Clown. Eine solche Frau kann
    für einen Mann wie Albert S. Almore sehr gefährlich werden. Aber
    ich glaube nicht, daß dies das entscheidende Motiv war. Was meinst
    du, Lettie?«
    Er sah seine Frau an, aber sie blickte nicht zu ihm auf. Sie steckte
    eine Stopfnadel in ein rundes Wollknäuel und sagte nichts.
    Grayson seufzte und fuhr fort: »Wir haben Grund zu glauben, daß
    er ein Verhältnis mit seiner Sprechstundenhilfe hatte und daß Florence ihm mit einem öffentlichen Skandal drohte. Und das konnte er
    beim besten Willen nicht brauchen, hab ich recht? Denn ein Skandal
    führt leicht zum nächsten.«
    Ich sagte: »Wie hat er sie denn umgebracht?«
    »Natürlich mit Morphium. Er hatte und benutzte ständig welches.
    Er war ein Experte auf diesem Gebiet. Als sie im tiefen Koma lag, hat er sie wahrscheinlich in die Garage geschleppt und den Motor laufen lassen. Wie Sie wissen, fand keine Autopsie statt. Doch selbst
    wenn es eine gegeben hätte, war bekannt, daß er ihr eine Beruhi-gungsspritze gegeben hatte.«
    Ich nickte, und er lehnte sich befriedigt zurück, strich sich mit der
    Hand über den Kopf und übers Gesicht und ließ sie auf sein knochi‐
    ges Knie fallen. Es schien, als ob er sich damit gründlich und einge‐
    hend beschäftigt hätte.
    Ich sah nach den beiden. Ein älteres Paar, das ruhig dasaß und sich
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    das Leben mit Haß vergiftete – eineinhalb Jahre, nachdem es geschehen war. Sie wären froh, wenn Almore Lavery erschossen hätte.
    Sie wären glücklich. Es würde sie bis in die Fußspitzen aufwärmen.
    Nach einer Pause sagte ich: »Sie glauben vieles einfach, weil Sie’s
    glauben wollen. Es ist immer noch möglich, daß es Selbstmord war
    und daß die Sache vertuscht wurde, teils um Condys Spielclub zu schützen, teils um Almore davor zu bewahren, in einer öffentlichen
    Verhandlung Rede und Antwort stehen zu müssen.«
    »Quatsch«, sagte Grayson scharf. »Er hat sie umgebracht. Sie lag im Bett und schlief.«
    »Woher wollen Sie das wissen? Vielleicht hat sie von allein Drogen
    genommen. Vielleicht war sie schon daran gewöhnt. Dann hätte die
    Wirkung nicht so lang angehalten. Vielleicht ist sie mitten in der Nacht aufgewacht, hat sich selbst im Spiegel gesehen und dachte, es
    sei der Teufel. Solche Sachen gibt’s.«
    »Ich glaube, Sie haben unsere Zeit genügend in Anspruch ge‐
    nommen«, sagte Grayson.
    Ich stand auf. Ich bedankte mich bei beiden, machte ein paar
    Schritte zur Tür und sagte: »Nachdem Talley verhaftet war – haben
    Sie da nichts mehr unternommen?«
    »Ich habe den Assistenten des Distrikt‐Staatsanwalts namens
    Leach aufgesucht«, brummte Grayson. »Ergebnis praktisch gleich
    Null. Er sah keinen Grund, der das Eingreifen seiner Behörde ge-rechtfertigt hätte. Nicht mal der Drogen‐Aspekt interessierte ihn.
    Aber Condys Lokal ist ungefähr einen Monat darauf geschlossen
    worden. Vielleicht stand das in irgendeinem Zusammenhang mit
    meinem Besuch.«
    »Ich glaube eher, daß das die Bullen von Bay City waren. Um ein
    bißchen was zum Vorzeigen zu haben. Wahrscheinlich könnten Sie
    Condy an einer anderen Stelle finden, wenn Sie wüßten, wo man suchen muß. Und zwar mit seinem gesamten Laden.«
    Ich schickte mich wieder an, zur Tür zu gehen, als Grayson sich 166
    aus seinem Sessel hochschraubte und hinter mir herschlurfte. Sein gelbes Gesicht war gerötet.
    »Ich wollte nicht unhöflich sein«, sagte er. »Ich glaube, Lettie und
    ich, wir sollten uns nicht so mit der Sache quälen, wie wir’s tun.«
    »Ich finde, daß Sie beide sehr geduldig waren«, sagte ich. »War noch jemand in die Sache verwickelt, dessen Namen wir noch nicht
    erwähnt haben?«
    Er schüttelte den Kopf und blickte sich dann nach seiner Frau um.
    Ihre Hände hielten bewegungslos eine Socke auf einem Stopfei fest.
    Ihr Kopf war ein wenig zur Seite geneigt. Sie schien auf irgend etwas zu lauschen, aber nicht auf uns.
    Ich sagte: »Wie man mir erzählt hat, war es die Sprech‐
    stundenhilfe, die Mrs. Almore in dieser Nacht zu Bett gebracht hat.
    War das dieselbe, mit der er ein Verhältnis gehabt haben soll?«
    Mrs. Grayson sagte scharf: »Einen Augenblick. Wir haben das
    Mädchen nie gesehen. Aber sie hatte einen so hübschen Namen.
    Lassen Sie mir nur einen Augenblick Zeit.«
    Wir ließen ihr den Augenblick. »Mildred Soundso«, sagte sie und
    ließ ihre Zähne zusammenklappen.
    Ich holte tief Luft. »Vielleicht Mildred Haviland, Mrs. Grayson?«
    Sie lächelte

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