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Die Tote im See

Die Tote im See

Titel: Die Tote im See Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raymond Chandler
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haben.«
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    »Wäre Lavery dazu fähig?«
    »Ich weiß es nicht. Er hat keine sichtbaren Einkünfte und keinen Job. Und er treibt’s ziemlich flott, besonders mit Frauen.«
    »Es wäre denkbar«, sagte Grayson. »Solche Sachen lassen sich ja in
    aller Stille abwickeln.« Er lächelte schief. »In meiner Arbeit bin ich solchen Dingen auf die Spur gekommen. Darlehen ohne Unterlagen,
    langfristige Außenstände. Offenkundig sinnlose Investitionen von
    Leuten, die sonst nie sinnlos investieren. Böse Schulden, die ganz offensichtlich eingeklagt werden müßten, die aber niemand ein-klagt, aus Angst, daß man dadurch das Finanzamt zu Nachprüfun‐
    gen ermuntern würde. O ja, so was läßt sich leicht arrangieren.«
    Ich blickte zu Mrs. Grayson. Ihre Hände hatten die ganze Zeit nicht zu arbeiten aufgehört. Sie hatte ein Dutzend Paar zerrissener Socken gestopft. Graysons lange knochige Füße setzten den Socken
    offensichtlich hart zu.
    »Was ist mit Talley passiert? Hat man ihn reingelegt?«
    »Ich glaube nicht, daß daran irgendein Zweifel möglich ist. Seine Frau war sehr verbittert. Sie sagte, daß man ihm einen präparierten
    Drink in einer Bar angedreht hat und daß er dort mit einem Polizi‐
    sten saß. Sie sagte, daß draußen ein Streifenwagen auf der anderen
    Straßenseite nur darauf gewartet hätte, daß er Anstalten machte loszufahren, und daß ’sie ihn dann auch prompt geschnappt haben.
    Und auch, daß er im Gefängnis nur ganz flüchtig verhört wurde.«
    »Das sagt nicht viel. Das hat er ihr erzählt, nachdem er eingesperrt
    worden war. So was erzählt man seiner Frau fast automatisch.«
    »Glauben Sie, mir gefällt der Gedanke, daß die Polizei nicht ehrlich arbeitet?« sagte Grayson. »Aber solche Sachen kommen vor,
    und jeder weiß es.«
    Ich sagte: »Wenn sie unabsichtlich beim Tod Ihrer Tochter was
    übersehen hätten, hätten sie’s bestimmt nicht gern, wenn Talley das
    herumerzählen würde. Weil das bedeuten könnte, daß einige dabei
    ihren Job verlieren. Wenn sie angenommen haben sollten, daß er im
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    Grunde nur auf Erpressung aus war, sind sie bestimmt nicht allzu zimperlich mit ihm umgesprungen. Wo steckt er denn jetzt? Falls es
    eine ernstzunehmende Spur gibt, läuft alles darauf hinaus, daß er sie
    entweder bereits kennt oder dabei war, sie zu finden, wobei er wuß‐
    te, wonach er zu suchen hatte.«
    Grayson sagte: »Wir wissen nicht, wo er ist. Er hat sechs Monate bekommen, aber die sind längst rum.«
    »Und seine Frau?«
    Er sah seine Frau an. Sie sagte knapp: »Westmore 166 Street, Bay
    City. Eustache und ich haben ihr ein wenig Geld geschickt. Es ging
    ihr ziemlich schlecht.«
    Ich notierte mir die Adresse, lehnte mich in meinen Sessel zurück
    und sagte:
    »Jemand hat Lavery heute morgen in seinem Badezimmer er‐
    schossen.«
    Mrs. Graysons dicke Hände blieben still auf dem Rand des Näh‐
    korbes liegen. Grayson saß mit offenem Mund da, wobei er die Pfei‐
    fe bewegungslos vor seinem Gesicht hielt. Er räusperte sich, um seine Luftröhre zu säubern, aber er tat dies so diskret, als wäre der
    Tod direkt anwesend. Und man konnte sich kaum etwas Langsame‐
    res vorstellen als die Bewegung, mit der er seine Pfeife wieder zwi‐
    schen seine Zähne schob.
    »Selbstverständlich wäre es wohl zu viel verlangt«, sagte er und ließ den halben Satz in der Luft hängen, um ihm ein wenig blassen
    Rauch nachzuschicken. Dann fügte er hinzu: »… zu erwarten, daß Dr. Almore etwas damit zu tun hat.«
    »Ich würd’s mir fast wünschen«, sagte ich. »Und sicher ist, daß er
    günstig nahe wohnt. Die Polizei allerdings glaubt, daß es die Frau meines Auftraggebers war. Und sie hätten auch einen hübschen
    runden Fall, wenn sie sie kriegten. Doch falls Almore was damit zu
    tun hat, müßte es sich aus dem Tod Ihrer Tochter ergeben haben.
    Deshalb versuche ich ja, was darüber in Erfahrung zu bringen.«
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    Grayson sagte: »Ein Mann, der einmal jemand ermordet hat, dürf‐
    te beim zweiten Mal nicht mal mehr fünfundzwanzig Prozent der
    Skrupel haben wie beim ersten Mal.« Er sagte das so, als habe er sich
    lange und gründlich mit dieser Materie auseinandergesetzt.
    Ich sagte: »Das kann gut sein. Was war denn sein vermutliches Motiv beim ersten Mal?«
    »Florence war wild«, sagte er traurig. »Ein wildes und schwieriges
    Mädchen. Sie war verschwenderisch und extravagant und hat sich
    immer mit neuen zweifelhaften Leuten angefreundet. Sie redete zu viel und zu laut

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