Die Tote im See
Ge‐
murmel schwerer Stimmen. Die Schritte hörten auf. Eine schwere
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Faust klopfte gegen die Tür.
Ich stand da und schielte zur Tür, die Lippen fest gegen die Zähne
gepreßt. Ich wartete, daß jemand die Tür öffnen und hereinkommen
würde. Jemand drehte am Türknopf, aber niemand kam herein. Er‐
neut klopfte es, hörte wieder auf, wieder hörte man Murmeln. Die Schritte entfernten sich. Ich überlegte, wie lange es dauern würde, bis man den Hausmeister mit dem Hauptschlüssel auf getrieben
hätte. Nicht sehr lang.
Nicht annähernd lang genug für Marlowe, um von der französi‐
schen Riviera zurück nach Hause zu kommen.
Ich ging zum grünen Vorhang, schob ihn zur Seite und sah einen
dunklen kurzen Gang, der zum Badezimmer führte. Ich ging ins
Badezimmer und schaltete das Licht ein. Zwei Badematten auf dem
Boden, eine dritte gefaltet über den Rand der Wanne und ein Fenster aus gerilltem Glas am Kopfende der Wanne. Ich schloß die Ba‐
dezimmertür, stellte mich auf den Wannenrand und öffnete das
Fenster. Es war im sechsten Stock. Es gab keine Brüstung. Ich streck‐
te meinen Kopf hinaus und blickte in die Dunkelheit und den
schwachen Schimmer einer Straße mit Bäumen. Ich sah nach der
Seite und entdeckte, daß das Badezimmerfenster des Nach‐
barapartments nicht weiter als drei Fuß entfernt war. Eine gutgenährte Bergziege würde das ohne Schwierigkeiten schaffen.
Die Frage war, ob ein angeschlagener Privatdetektiv es auch schaf‐
fen würde. Und wenn ja, was er damit gewinnen würde.
Hinter mir schien eine ziemlich entfernte und undeutliche Stimme
die alte Litanei der Polizisten zu singen: »Machen Sie auf, oder wir
treten die Tür ein.« Ich äffte die Stimme höhnisch nach. Sie würden
die Tür nicht eintreten, weil das Türeintreten den Füßen weh tut.
Und Polizisten sind nett zu ihren Füßen. Ihre Füße sind fast das ein‐
zige, zu dem sie nett sind.
Ich riß ein Handtuch vom Handtuchhalter und schob die beiden
Fensterhälften herunter und ließ mich hinaus auf den Sims gleiten.
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Ich schwang mich halb hinüber zum Nachbarsims, während ich
mich am Rahmen des offenen Fensters festhielt. Es reichte gerade so
weit, daß ich das Nachbarfenster herunterziehen konnte, falls es nicht verriegelt war. Es war verriegelt. Ich schob meinen Fuß hin‐
über und trat gegen das Glas oberhalb des Riegels. Es machte einen
Lärm, den man bis Reno hören mußte. Ich wickelte das Handtuch um meine linke Hand und streckte sie durchs Fenster, um den Riegel zu öffnen. Unten auf der Straße fuhr ein Auto vorbei, aber nie‐
mand schrie zu mir herauf.
Ich stieß das aufgebrochene Fenster hinunter und kletterte ganz auf den anderen Sims hinüber. Das Handtuch fiel mir aus der Hand
und flatterte in die Dunkelheit hinab, auf einen weit unten liegenden Grasstreifen zu, der zwischen zwei Flügeln des Gebäudes lag.
Ich stieg durch das Fenster in das Nachbarbadezimmer ein.
Ich kletterte ins Dunkle und tastete mich im Dunkeln zu einer Tür
und öffnete sie und lauschte. Gefiltertes Mondlicht, das durch die Nordfenster drang, zeigte ein Schlafzimmer mit einem Doppelbett, das gemacht und leer war. Keine Wandbetten. Dies war ein größeres
Apartment. Ich ging hinter den Betten zu einer anderen Tür und kam in ein Wohnzimmer. Beide Zimmer hatten geschlossene Fenster
und rochen muffig. Ich ertastete mir einen Weg zu einer Lampe und
machte sie an. Ich fuhr mit dem Finger über das Holz einer Tischek‐
ke. Es gab eine leichte Staubschicht, wie sie sich in den saubersten Räumen bildet, wenn sie abgeschlossen sind.
Das Zimmer enthielt einen schweren Eßtisch, einen Armsessel und
ein Radio, einen Bücherständer in Form eines Troges, einen großen
Bücherschrank voller Romane, alle in Schutzumschlägen, ein dunk‐
les hohes Holzschränkchen mit einem Siphon und einer Schnapska‐
raffe aus geschliffenem Glas und vier Gläsern mit aufgemalten Strei‐
fen auf einem indischen Messingtablett. Daneben stand ein Rahmen
aus Doublesilber mit der Fotografie eines Ehepaars; ein kindisch aussehender Mann im mittleren Alter und eine Frau; beide hatten 217
runde, gesunde Gesichter und blickten freundlich drein. Sie sahen mich an, so, als hätten sie nicht das geringste dagegen, daß ich hier
wäre.
Ich roch an der Karaffe und stellte fest, daß sie Scotch enthielt und
genehmigte mir ein wenig davon. Meinem Kopf ging es danach
noch übler, aber dem Rest ging es besser. Ich
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