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Die Tote in der Bibliotek

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Titel: Die Tote in der Bibliotek Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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wohlhabende Frau – so haben Sie Mr. Gaskell und Mrs. Jefferson ja beschrieben – um eine hohe Summe gebracht werden, auf die sie im Grunde keinerlei moralischen Anspruch haben. Miss Turner ist eine praktisch denkende, ehrgeizige junge Frau, würde ich sagen, gutartig und recht lebenslustig. Ein bisschen wie Jessie Golden, die Bäckerstochter.»
    «Was war mit der?», wollte Sir Henry wissen.
    «Sie ließ sich als Kindermädchen ausbilden und heiratete den Sohn des Hauses, der auf Urlaub aus Indien da war. War ihm eine sehr gute Frau, soviel ich weiß.»
    Sir Henry holte seine Gedanken von diesen faszinierenden Nebengleisen zurück und fragte: «Können Sie sich irgendeinen Grund vorstellen, warum mein Freund Conway Jefferson plötzlich diesen ‹Cophetua-Komplex›, wenn Sie so wollen, entwickelt hat?»
    «Ich denke schon.»
    «Und welchen?»
    Miss Marple zögerte einen Moment.
    «Es könnte sein – das ist natürlich nur eine Vermutung –, dass sein Schwiegersohn und seine Schwiegertochter wieder heiraten wollten.»
    «Dagegen hätte er doch gewiss nichts einzuwenden.»
    «Nein, nein, natürlich nicht. Aber betrachten Sie es einmal von seinem Standpunkt aus. Er hat Furchtbares durchgemacht, hat einen schweren Verlust erlitten, ebenso wie Mrs. Jefferson und Mr. Gaskell. Die drei leben zusammen, und was sie verbindet, ist eben dieser Verlust. Aber die Zeit heilt alle Wunden, wie meine liebe Mutter immer zu sagen pflegte. Mr. Gaskell und Mrs. Jefferson sind noch jung. Ohne dass es ihnen bewusst ist, mag eine gewisse Unruhe in ihnen aufgekommen sein, und sie beginnen sich durch ihre Lebenssituation eingeengt zu fühlen. Vielleicht hat der alte Mr. Jefferson plötzlich eine unerklärliche Distanziertheit an ihnen bemerkt. Wie das eben so geht – Männer fühlen sich ja so leicht vernachlässigt. Bei den Harbottles lag das an Miss Harbottles Reise, bei den Badgers an Mrs. Badgers’ Interesse für den Spiritismus und die Séancen, zu denen sie alle naslang ging.»
    «Ich muss sagen», beklagte sich Sir Henry, «es gefällt mir nicht, wie Sie uns Männer ständig in einen Topf werfen.»
    Miss Marple schüttelte betrübt den Kopf. «Die menschliche Natur ist überall mehr oder weniger die gleiche, Sir Henry.»
    «Mr. Harbottle! Mr. Badger! Und der arme Conway! Ich möchte ja nicht persönlich werden, aber haben Sie in Ihrem Dorf nicht auch eine Parallele für meine Wenigkeit?»
    «Doch, durchaus: Briggs.»
    «Wer ist Briggs?»
    «Der Obergärtner in Old Hall. Der beste, den sie dort je hatten. Hat es immer sofort gemerkt, wenn einer der Untergärtner herumgetrödelt hat – geradezu unheimlich war das! Kam mit nur drei Mann und einem Lehrling aus, und der Park war gepflegter, als wenn er sechs Leute unter sich gehabt hätte. Hat mit seinen Gartenwicken mehrmals den ersten Preis gewonnen. Ist jetzt im Ruhestand.»
    «Wie ich», sagte Sir Henry.
    «Aber er übernimmt noch Gelegenheitsarbeiten – wenn er die Leute mag.»
    «Aha. Auch wie ich. Genau das mache ich ja jetzt: Gelegenheitsarbeit – um einem alten Freund zu helfen.»
    «Zwei alten Freunden.»
    «Zweien?», fragte Sir Henry leicht verwundert.
    «Sie meinen sicher Mr. Jefferson, aber an den dachte ich gerade gar nicht. Ich dachte an Colonel und Mrs. Bantry.»
    «Ah ja, verstehe.» Dann fragte er unvermittelt: «Haben Sie Dolly Bantry deshalb vorhin ‹die Ärmste› genannt?»
    «Ja. Sie hat die Lage noch nicht annähernd erfasst – im Gegensatz zu mir, ich habe da mehr Erfahrung. Sehen Sie, Sir Henry, nach meinem Eindruck wird dieses Verbrechen aller Wahrscheinlichkeit nach zu jenen gehören, die niemals aufgeklärt werden. Wie die Schrankkoffer-Morde von Brighton. Und das wäre für die Bantrys absolut verheerend. Colonel Bantry ist wie fast alle ehemaligen Militärs extrem sensibel. Er reagiert äußerst empfindlich auf die öffentliche Meinung. Eine Zeit lang wird er es noch nicht merken, aber nach und nach wird es ihm bewusst werden: eine Kränkung hier, eine Abfuhr da, ausbleibende Einladungen, Ausflüchte – und eines Tages ist ihm alles klar, und er zieht sich in sein Schneckenhaus zurück und verfällt in schwärzeste Trübsal.»
    «Verstehe ich Sie recht, Miss Marple? Sie meinen, da die Leiche in seiner Bibliothek gefunden wurde, werden die Leute denken, er hätte etwas mit der Sache zu tun?»
    «Natürlich! Ich bin sicher, es wird bereits geredet. Und es wird immer mehr geredet werden. Die Leute werden den Bantrys zunehmend die kalte Schulter

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