Die tote Schwester - Kriminalroman
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»Stattdessen?«
Zbigniew schwieg.
»Ich möchte mich entschuldigen bei Ihnen«, sagte Horst Beinke schließlich. »Sie müssen verstehen, für uns ist es neu, dass unsere Tochter solche Reisen alleine macht. Und wenn dann so etwas passiert … Ich meine, uns ist klar, dass Sie natürlich nicht schuld an der Entführung sind. Aber … «
Lenas Vater zögerte einen Moment.
»Sie verstehen sicher, was ich meine, oder?«, fragte er dann bloß.
»Ja, ich verstehe Sie sehr gut.«
»Wenn wir Ihnen also helfen können, dann sagen Sie Bescheid. Und zögern Sie nicht, uns anzurufen. Die Polizei tut es nämlich nicht, habe ich das Gefühl.«
»Sie wollen Ihnen nur nicht mit jeder kleinen Spur neue Hoffnungen oder neue Ängste einflößen«, sagte Zbigniew. »Hat man Ihnen denn keine psychologische Betreuung angeboten?«
»Doch. Aber so etwas brauchen wir doch nicht.«
Nein. Natürlich nicht. Lenas Eltern hatten ihr Leben im Griff.
Warum hatte Zeynel ihm selbst eigentlich keine psychologische Betreuung empfohlen? Vermutlich, weil er ohnehin bereits in psychologischer Betreuung war. Wann war sein Termin noch mal?
Verdammt. Heute müsste er eigentlich zum Orthopäden.
Zbigniew verabschiedete sich von Lenas Vater. Sie versprachen, sich gegenseitig auf dem Laufenden zu halten, wenn sie mehr erfuhren.
Immerhin hatte er das Gefühl, dass Lenas Eltern nicht mehr seine Feinde waren. Was etwas sehr Beruhigendes hatte.
Zbigniew schaltete seinen alten Rechner ein und schaute im Internet nach, wo sich der Ort Büsdorf genau befand. Das Dorf gehörte in der Tat zu Bergheim.
Zwei Klicks weiter, und er war beim Standesamt von Bergheim gelandet.
Sollte er zunächst anrufen?
Nein, telefonisch würden sie ihm ohnehin keine hilfreichen Auskünfte geben.
Zbigniew notierte sich die Adresse und suchte seinen Wagen, den er immer an der Straße parkte. Er stand noch unversehrt dort, wo er ihn vor New York abgestellt hatte. Zbigniew betrachtete seine Hand; sie zitterte nicht. Er hatte sich gefasst. Er war übermüdet, hatte sich aber gefasst.
Heute würde er es ohne Tonia schaffen.
Die kleine Stadt Bergheim hatte bei den Kölnern einen schlechten Ruf; jeder, der sich in der selbstverliebten Millionenstadt nicht großstädtisch genug benahm, stand im Verdacht, aus Bergheim zu kommen. Auch die Wagen mit dem Kennzeichen BM waren nicht besonders beliebt; das Klischee besagte, dass sie bevorzugt mit primitiver, bassbetonter Musik aus lauten Lautsprechern bei offenem Fenster auf den Ringen, den abendlichen Flaniermeilen von Köln, hin und her fuhren. Jede Stadt hatte einen derartigen Vorort. In München, so wusste Zbigniew von einem Kollegen, war es Fürstenfeldbruck, FFB . Und seine Ex-Freundin Birgit, die in Münster wohnte, hatte sich immer über die Wagen aus Warendorf – WAF – aufgeregt.
Hinter Zbigniew lag eine Dreiviertelstunde Autofahrt in die Provinz, die im Wesentlichen daraus bestanden hatte, den Kölner Stadtrand zu erreichen. Er parkte seinen Wagen am Rande der Fußgängerzone von Bergheim und ging durch das kleine Städtchen. Er war überrascht, wie hübsch es war: Jenseits eines mittelalterlichen Stadttors zog sich eine einfache Fußgängerzone entlang, die über einen Fluss hinwegführte. Die Menschen hier, in der Regel Frauen zwischen zwanzig und dreißig, schoben allesamt Kinderwagen vor sich her. Auf den Bänken saßen Rentner.
Sympathisch.
Zbigniew betrat den Backsteinbau, in dem sich das Standesamt von Bergheim befand. Er überlegte kurz, ob er seine Recherche mit einer wohlersonnenen Familiengeschichte begründen sollte, doch dann zeigte er bloß seinen Polizeiausweis und behauptete, er bräuchte die Informationen im Rahmen einer Ermittlung und bäte um Amtshilfe.
Was ja irgendwie stimmte.
Eine freundliche Dame mit chemisch-rotorange gefärbten kurzen Haaren, vielleicht fünfzig Jahre alt, hielt ihre Hände tippbereit über einer Computertastatur, als er sein Anliegen schilderte. Als er das Jahr 1943 nannte, nahm sie ihre Finger von der Tastatur herunter und führte ihn in einen Keller mit unzähligen Regalen.
»Es werden gerade elektronische Personenstandsbücher eingeführt«, sagte sie, »aber die Altbestände werden erst nach und nach erfasst. Da müssen wir schon einen Blick ins reale Geburtenregister wagen.«
Zbigniew nickte. Es wäre ja auch zu einfach gewesen.
»Büsdorf müsste sogar noch irgendwo getrennt sein. Es gehörte nämlich vor der Gemeindereform zu Hüchelhoven, die hatten ein
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