Die tote Schwester - Kriminalroman
aufgemacht, mehrmals, und im Haus hat ihn auch niemand gesehen. Ans Telefon geht er nicht.«
»Ich weiß.«
»Was können wir tun?«
»Ich habe jetzt mal einen alten Freund von ihm beim NYPD gebeten, sich darum zu kümmern.«
Zbigniew hörte, wie Delia die Augenbrauen runzelte. Nach einem kurzen Moment des Innehaltens reagierte sie überschwänglich.
»Oh, das ist eine reizende Idee. Wen denn?«
»Jack Rosenfeldt.«
»Oh, ich kenne ihn nicht. Aber das ist gut, das ist eine hervorragende Idee. – Hören Sie, ich muss Ihnen aber noch etwas sagen.«
»Ja?«
»Die Frau, die unter Samuel wohnt … eine reizende ältere Dame, ich habe sie heute Morgen gesprochen, und sie hat mir gesagt, dass Samuel sie gestern … Also, er hat sie gestern gebeten, seine Blumen zu gießen.«
»Seine Blumen?«
»Ja. Sie hatte das Gefühl, dass er auf eine große Reise gehen will.«
»Was?«
Schweigen in der Leitung.
Zbigniew spürte, wie Kälte seinen Körper hochwanderte.
»Hat er eigentlich jemals Ihnen gegenüber den Namen Heinrich erwähnt?«, fragte er. Irgendwie ging es ihm gerade durch den Kopf.
»Oh, das hört er nicht gern«, sagte Delia sofort.
»War das sein ursprünglicher Name?«
Delia räusperte sich.
»Ja, er hat mal davon erzählt. Aber er ist in New York wohl sehr schnell Samuel geworden. Also, das war lange vor meiner Zeit. Glauben Sie mir, Sie sollten das Thema nicht aufkommen lassen, es erinnert ihn an seine Eltern. Sie waren damals gezwungen, ihn nicht jüdisch zu erziehen. Sie konnten ihm nicht den Namen geben, den sie für den richtigen hielten. Zumindest hat er mir das so erzählt.«
Heinrich Himmler.
Heinrich war ein sicherer Name. Heinrich, Hermann, Adolf.
Eva.
Zbigniew hörte Delias erregtes Atmen aus der Hörmuschel.
»Ich glaube, ich werde kommen«, hörte er sie dann sagen.
Zbigniew versuchte, den Satz zu verstehen. Doch Delia ließ ihm keine große Zeit für eigene Denkanstrengungen.
»Nach Deutschland, meine ich. Ich muss Tag und Nacht an Ihre kleine Freundin denken. So ein reizendes Mädchen. Ich könnte es mir nie verzeihen, wenn Samuel sie da in irgendetwas reingezogen hätte.«
Reingezogen. Samuel hatte Lena reingezogen.
»Und ich habe das Gefühl, er könnte selbst hinübergefahren sein. Warum lässt er seine Blumen gießen? Das macht man nicht für zwei Tage«, fuhr Delia fort. »Also warum macht er jetzt eine Reise? Seit Monaten behauptet er, dass er nichts mehr machen kann, dass er todkrank ist, und jetzt macht er eine Reise? Er macht doch bestimmt nicht irgendeine Reise.«
Klarheit bekommen. Über das Einzige, was den alten Mann im Leben noch interessierte.
»Ich kenne ihn doch. Er war ja so etwas wie ein Ersatzvater für mich«, fügte Delia Johannsen hinzu.
»Sie meinen ernsthaft, er ist nach Deutschland geflogen?«, fragte Zbigniew.
»Ich weiß es nicht.«
Er hörte ein Atmen in der Leitung. Nein, ein Zischen und ein anderes Geräusch … Delia Johannsen zündete sich eine Zigarette an und sog begierig.
Er stellte sich vor, wie sie dabei mit einer Hand durch ihre Föhnwelle strich.
»Ich werde kommen«, hörte er schließlich aus der Leitung.
»Meinen Sie das ernst?«
»Ich werde zu Ihnen kommen. Ihnen helfen. Samuel helfen. Ihrer Freundin helfen. Es passieren irgendwelche Dinge.«
Helfen.
Hatte Zbigniew nicht schon Hilfe von Tonia Lindner?
Reichte dies nicht bereits, um ihn zu verwirren? Der Kuss auf den Mund?
Nein, sie hatte ihm an diesem Morgen überhaupt erst auf die Beine geholfen. Ohne sie wäre er noch nicht einmal nach Zündorf hinausgekommen. Ohne sie säße er zu Hause und würde sich bemitleiden.
»Ich glaube, das ist nicht nötig. Das ist doch viel zu viel Aufwand. Ich kann mir auch nicht vorstellen, warum Samuel hier herübergeflogen sein sollte, sonst hätte er ja Lena gar nicht den Auftrag gegeben.«
»Auftrag?«
»Ja, oder wie auch immer man es nennen will.«
Delia zog hörbar an ihrer Zigarette.
»Ich könnte es mir nie verzeihen, wenn Ihrer Freundin wegen Samuels Geschichten irgendetwas passiert.«
Es war schon passiert.
Doch niemand außer Delia schien ihm zu glauben, dass es etwas mit Samuels Geschichten zu tun hatte.
Sie kannte die anderen Zusammenhänge nicht.
Zbigniew spürte, wie Delia bereits wieder an der Zigarette zog. Sie war nervös, sie war an einem Punkt der Entscheidung. An einem dieser Punkte im Leben, wo es so oder anders weitergehen könnte.
»Gut. Kommen Sie herüber«, hörte Zbigniew sich plötzlich
Weitere Kostenlose Bücher