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Die tote Schwester - Kriminalroman

Die tote Schwester - Kriminalroman

Titel: Die tote Schwester - Kriminalroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Brueggenthies
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hoch, durch das Türchen einer Umfriedung hindurch, und dann betraten sie den Friedhof. Zbigniew betrachtete die kleine Kirche, die etwas buckelig im grauen Licht über dem Maar lag.
    Dies war der Ort, wo die Pest gewütet hatte. Es bedurfte keiner großen Vorstellungskraft. Es war so, als ob es dem Ort innewohnte, als ob es direkt zu ihm gehörte.
    Als ob es niemals verschwunden war.
    »Folgen Sie mir«, sagte der Priester und ging einen Weg durch die Gräber hindurch, an der Kirche vorbei. Auf der Rückseite der Kapelle befand sich der Zugang zur Kirche, ein kleiner, überdachter, offener Raum.
    Sie waren nicht allein. Vor dem Kircheneingang, unter dem schützenden Vordach, standen zwei Männer. Zbigniew erschrak, als er sie bemerkte.
    Er begann, Gespenster zu sehen.
    Dort standen Fahrräder, an die Mauer vor dem Kircheneingang gelehnt. Vermutlich waren die beiden Männer bloß Radwanderer, die soeben von dem Sturzregen überrascht worden waren.
    »Grüß Gott«, rief der Priester ihnen zu.
    Zbigniew murmelte etwas Ähnliches, Profaneres. Die Radwanderer nickten zum Gruß zurück.
    Sie gingen zwischen den alten Gräbern hindurch. Der Priester führte ihn bis in die letzte Ecke des Friedhofs. Hier, an den Rand des Hanges gedrängt, lediglich durch eine Hecke vom Hauptteil des Friedhofs getrennt, befanden sich vier weitere Gräber. Vor den Grabsteinen gab es jeweils eine kleine Mauerumfassung, vielleicht knöchelhoch. Darin Kieselsteine, kein Blumenschmuck. Zbigniew erkannte jüdische Namen, die in die Grabsteine eingemeißelt waren. Unter den Namen standen Buchstaben, die er nicht lesen konnte; Zbigniew vermutete, dass hier die gleichen Namen noch einmal in Hebräisch geschrieben standen.
    »Da wären wir«, sagte der Priester.
    Zbigniews Augen verharrten auf einem der Grabsteine. Er las die eingemeißelten Namen.
    Gideon Weissberg
    * 6.2. 1900 in Köln
    † 21.6. 1943 in Schalkenmehren
    Anna Weissberg
    * 15.8. 1912 in Odenthal
    † 21.6. 1943 in Schalkenmehren
    »Möget Ihr im Garten Eden
    und im Tempel des Herrn
    im Licht der Lebenden weilen.«
    Zbigniews Blick rutschte tiefer.
    Es gab noch einen dritten Namen, der auf demselben Grabstein vermerkt war, in einer etwas anderen Schrift. Die Gravur sah neuer aus als bei den beiden anderen Namen.
    Eva Weissberg
    * 13.6. 43 in Köln
    † 6.3. 45

10
    Zbigniew hatte schweigsam vor dem Familiengrab gestanden, während der Regen an seinem Schirm heruntertropfte, schnurgerade, die Ränder seiner Jacke benetzend.
    Einige Minuten lang war er wie vor den Kopf gestoßen. Der Priester neben ihm hatte sich unmerklich gemacht, er hatte wohl begriffen, dass Zbigniew einen Moment des Innehaltens brauchte.
    Eva Weissberg, so stand es hier auf dem Grabstein. Mit Geburts- und Sterbedatum. Die, die er suchte, lag sie hier, ihm zu Füßen?
    Der Grabstein war offenbar erst in den siebziger Jahren aufgestellt worden.
    Die Inschrift von Eva Weissberg war vielleicht noch später eingraviert worden, sie sah neuer aus.
    Es konnte nicht sein. Woher hätte man vierzig Jahre später eine Leiche nehmen sollen?
    Woher wusste man das Geburtsdatum von Eva Weissberg? Wieso war es hier in Schalkenmehren bekannt, nirgendwo anders?
    Und das Todesdatum?
    Oder hatten sie einfach irgendein Datum genommen?
    Wusste jemand, dass sie gestorben war – und wann genau?
    Es passte nicht. Eva Weissberg hatte niemals unter dem Namen Eva Weissberg gelebt. Zumindest wenn das, was Zbigniew wusste, richtig war.
    Dann hatte Eva Weissberg niemals existiert.
    Hier existierte sie.
    »Stimmt etwas nicht?«, fragte der Priester neben ihm nach einer Unendlichkeit des Schweigens.
    Es stimmte Einiges nicht. Aber es war zu kompliziert, es zu erklären.
    Zbigniew machte mit seinem Handy ein Foto von dem Grabstein. Der Sicherheit halber fotografierte er auch die anderen Steine auf dem jüdischen Friedhof.
    »Liegt hier ein kleines Kind begraben?«, fragte er schließlich.
    »Nein, nein. Die Gräber auf dem jüdischen Teil sind leer. Alle. Soweit ich weiß.«
    »Wieso?«
    »Nun ja. Die jüdischen Gemeindebürger sind 1941 und 1942 nach Auschwitz transportiert worden und nicht zurückgekehrt. Das heißt, ihre Gebeine finden sich dort in Massengräbern. Ach, noch nicht einmal, das Regime des Dritten Reichs hat ja gegen Kriegsende alles getan, um die Spuren der Massenvernichtung zu verwischen. Bereits geschlossene Massengräber wurden wieder ausgehoben, die Leichen verbrannt, damit die Alliierten nichts entdecken würden. Es gab keine

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