Die tote Schwester - Kriminalroman
Weltkrieg auf der Flucht erschossen wurde.
»Warum?«, fragte der alte Priester misstrauisch.
Damit hatte Zbigniew nicht gerechnet.
»Ich suche im Auftrag der Familie«, sagte er. Es war bloß eine halbe Lüge.
»Wir kennen hier ein solches Paar nicht.«
Der alte Priester starrte ihn mit seinen geheimnisvollen, grünbraunen Augen an. Zbigniew wusste nicht so recht, was er von der Antwort halten sollte.
»Wir? Alle hier in Schalkenmehren?«
Es war eine Grenzüberschreitung, fast eine Anschuldigung, aber Zbigniew hatte sie schon ausgesprochen.
» Mir ist so was nicht bekannt«, korrigierte der Pfarrer sich in einem nicht allzu freundlichen Ton.
»Weissberg. Gideon und Anna Weissberg, haben Sie diese Namen noch niemals gehört?«, sagte Zbigniew scharf.
Der Alte blieb ungerührt, vielleicht gab es ein kurzes Flackern in seinen Pupillen, aber es war nur für den Bruchteil einer Sekunde.
»Nein, leider nicht.«
Zbigniew sah aus den Augenwinkeln, wie in dem jungen Priester hinter Pfarrer Mehrer eine Veränderung vorging. Er hibbelte ein wenig herum, zuckte mit seinem Kopf. Dies war der Moment, in dem Zbigniew sich sicher war, dass beide Geistlichen etwas wussten. Doch der jüngere Priester würde sich nun, nach der verbalen Abfuhr durch den älteren, sicherlich nicht mehr nach vorne trauen.
Zumindest nicht in seiner Anwesenheit.
»Könnten Sie mir vielleicht die Tür zum Friedhof aufschließen? Mir wurde gesagt, es gäbe ein Grab, und daher würde ich mich gern dort ein wenig umschauen.«
»Die Öffnungszeiten sind von acht bis sechzehn Uhr.«
Ein offener Affront.
Die regungslose Miene des alten Pfarrers verriet Zbigniew, dass dieser sich nicht erweichen lassen würde. Was Zbigniew umso mehr das Gefühl gab, dass der Alte etwas wusste.
Sollte er doch seinen Polizeiausweis zücken?
Der würde ihm so ohne Weiteres hier nicht weiterhelfen. Zudem würde er die Konfrontationslust des alten Priesters noch verstärken.
Er brauchte eine andere Strategie.
»Gut, dann werde ich mal in der Verwaltung in Daun nachfragen, es wird ja bestimmt eine Möglichkeit geben … Und dann melde ich mich sicherlich mit weiteren Fragen noch einmal bei Ihnen. Einstweilen vielen Dank«, sagte er. Er verneigte sich kurz, lächelte dem jungen Priester im Hintergrund zu und ging ein paar Schritte zurück Richtung Straße. In seinem Rücken hörte er, wie sich die Tür zum Pfarrhaus schloss.
Zbigniew begab sich ohne weiteres Nachdenken zur Kirche. Er hatte vor, sich dort vor dem Eingang in aller Ruhe auf eine Bank zu setzen. Dann stellte er aber zu seinem Erstaunen fest, dass der Haupteingang, eine große Holzflügeltür, noch geöffnet war. Zbigniew blickte einmal zurück zum Pfarrhaus und betrat die Vorhalle des Gotteshauses.
Die Holztür fiel hinter ihm zu. Vor ihm lag eine typische Dorfkirche – viele brennende Kerzen im Eingang, hinter einer weiteren Pforte das große Hauptschiff mit den Holzbänken. Am Ende der Altar, recht schmucklos, rechts und links die Seitenschiffe mit kleinen, streng wirkenden Kapellen.
Wann hatte er eigentlich das letzte Mal eine Kirche betreten? Seine Mutter war sehr gläubig gewesen. Er konnte sich noch gut erinnern, als Kind von ihr zu sonntäglichen Gottesdiensten mitgeschleppt worden zu sein. Irgendwann war er dann nicht mehr mitgegangen. Vermutlich hatte er ab einem gewissen Alter einfach rebelliert.
Seitdem war er in keinem Gottesdienst mehr gewesen, obwohl er auf dem Papier katholisch war und auch jedes Jahr brav seine Kirchensteuer zahlte. Vielleicht wurde das Geld ja zumindest zu einem Teil für einen guten Zweck verwendet. Zbigniew hatte es noch nicht über sich gebracht, aus der Kirche auszutreten. Vermutlich ein Eingeständnis an seine selige Mutter.
Sofern sie selig war, dort oben oder wo auch immer.
Zbigniew ging an den Kerzen vorbei, ließ das Weihwasserbecken rechts liegen. Er kannte all die Riten, doch er war nicht mehr Teil dessen.
Oder war er es doch? Sollte er seine Hände nicht mit ein wenig Weihwasser benetzen, sich ein Kreuzzeichen auf die Stirn machen?
Im Urlaub, da hatte er öfters Kirchen besichtigt, ohne auch nur einen Gedanken an Religion zu verschwenden. Hier, in Schalkenmehren, war es anders. Die Kirche erinnerte ihn an irgendetwas aus seiner Jugend, damals in Siegburg.
Ein Knicks in Richtung Altar.
Es gelang ihm, die Gedanken herunterzukochen. Stattdessen setzte er sich in die letzte Bank an den Mittelgang, linke Seite.
Er würde nicht aufgeben.
Das Sambal
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