Die tote Schwester - Kriminalroman
Gebeine, die man zuordnen konnte. Dies sind eher Gedenksteine als Gräber.«
Zbigniew nickte mit einem Schaudern.
»Aber die Weissbergs? Die starben doch hier in Schalkenmehren.«
»Die Weissbergs sind meines Wissens damals, direkt nach der Gräueltat, irgendwo verbrannt oder vergraben worden. Man hat ihre sterblichen Überreste später nicht wiedergefunden. Das Mädchen, da bin ich jetzt ehrlich gesagt überfragt, ich habe keine Ahnung. In der Geschichte von damals kommt zumindest kein kleines Kind vor. Es sei denn … «
Dem Priester schien etwas durch den Kopf zu gehen.
»Die Inschrift sieht anders aus als die beiden anderen«, sagte Zbigniew. »Wurde sie nachträglich angebracht?«
Der junge Priester sah ihn unbehaglich an. Es kam Zbigniew so vor, als ob in diesem Moment beide dasselbe dachten.
»War doch ein Mädchen dabei?«, sprach Zbigniew es aus. »Sind sie mit dem Kleinkind geflohen?«
Kurz stellte Zbigniew sich vor, dass die HJ -Burschen auch das Kind getötet hatten … und diese Tat verheimlicht hatten … und später, nach dem Aufstellen der anderen Gedenksteine, einen von ihnen die Reue ergriff …
Die Fantasie ging mit ihm durch.
»Wer genau hat diese Steine aufgestellt? Die Inschriften gemeißelt? Wann ist das passiert?«
»In den Siebzigern, wie gesagt. Wann genau, müsste ich nachsehen. Der Bürgermeister damals, ich weiß seinen Namen nicht, hat das initiiert. Die Steine sind von einem lokalen Bildhauer gemacht worden, einem Künstler. Da kommen hier in der Vulkaneifel eigentlich nur ein paar in Frage. Es gibt in Schalkenmehren den Professor Landemann, der hat sich inzwischen zur Ruhe gesetzt, der könnte es gewesen sein. Wenn Sie wollen, rufe ich den mal an. Dann können Sie noch einen Moment hier allein bleiben.«
Zbigniew nickte. Der Priester zog sich mitsamt seinem Regenschirm zurück. Zbigniew warf einen Blick zu den Radwanderern, die immer noch gelangweilt unter dem Vordach standen. Natürlich hatten sie sie beobachtet, sich gefragt, was die beiden Männer mit den Regenschirmen bei diesem Wetter vor den Gräbern machten.
Eva Weissberg.
Hier lag niemand.
Gideon und Anna Weissberg, diese Geschichte war im Dorf bekannt. Es war konsequent, dass man hier an sie erinnerte, zusammen mit den aus dem Dorf deportierten Juden. Eine Form von Wiedergutmachung, oder bloß um die Gewissensbisse zu erleichtern. Das kollektive Bewusstsein des Dorfs wieder in Balance bringen.
Aber Eva Weissberg.
Eva Weissberg gehörte hier nicht hin.
Immerhin passte aber ihr Geburtsdatum zu dem Sterbedatum der Eltern, nach allem, was Zbigniew inzwischen wusste. Es passte perfekt zu den Erzählungen von Samuel Weissberg.
Zbigniew sah den Priester zurückkehren.
»Also, der Professor Landemann war’s nicht, sagt er, aber er glaubt, dass der Bildhauer Christian Adler sie gemacht hat. Der ist aber leider schon tot.«
Kurzzeitig sackte Zbigniews Herz in sich zusammen, doch der Priester lächelte. Vielleicht wollte er ihm bloß demonstrieren, dass der Tod aus seiner Sicht nichts Schlimmes war.
»Landemannmeinte,dasläuftfolgendermaßen:WennSiesoeinenAuftragbekommen,danngehtdasvomAmtaus.UndderdamalszuständigeAmtsleiterderVulkaneifelfürdiesenBereichistimRuhestand,wohntinGemünden,dasisthierganzinderNähe.EsistoffenbareinFreundvonLandemann.IchhabseineAdresse.«
Zbigniew lächelte. Er sollte den Priester für den polizeilichen Nachwuchs empfehlen.
»Dann würde ich da jetzt gern hinfahren«, sagte er.
Der Priester nickte.
»Das habe ich mir gedacht. Landemann wollte den Amtsleiter direkt anrufen und vorwarnen. – Es wäre mir aber ganz lieb, wenn Sie mich dann vorher wieder im Pfarrhaus abliefern, ich muss noch eine Messe für morgen vorbereiten.«
»Selbstverständlich.«
Sie gingen über den Friedhof an der Kirche vorbei zurück zum Weg. Die beiden Radwanderer sahen ihnen ein bisschen neidisch hinterher, wegen ihrer Regenschirme. Zumindest kam es Zbigniew so vor.
Der Weg war inzwischen noch stärker aufgeweicht, teilweise musste man dicht am Wegrand gehen, um weiterzukommen. Zbigniews Schuhe tauchten einige Male zentimetertief in den Morast ein.
Was für eine Exkursion, dachte Zbigniew. Er war kurz davor, laut zu fluchen, unterdrückte dies aber im Beisein des Priesters.
Und dann, ganz plötzlich, hörte der Regen auf.
Es war, als ob jemand einen Schalter umgelegt hatte. Abrupt und ohne Vorwarnung.
Überrascht blieb Zbigniew stehen, auch der Priester hielt inne.
»Sehen Sie«, sagte dieser
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