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Die tote Schwester - Kriminalroman

Die tote Schwester - Kriminalroman

Titel: Die tote Schwester - Kriminalroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Brueggenthies
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Oelek brannte immer noch ein wenig in seinem Mund.
    Er würde so lange hier sitzen bleiben, bis ihm eine Idee kommen würde oder bis die Pfarrer ihm helfen würden.
    Glücklicherweise musste Zbigniew nicht allzu lange warten. Einige Minuten, nachdem er sich in der Kirche niedergelassen hatte, hörte er Schritte hinter sich. Zbigniew drehte sich um. Es war keine besondere Überraschung für ihn: Der junge Priester kam in die Kirche, nickte ihm schweigend zum Gruß zu. Dann setzte er sich wie Zbigniew in die letzte Holzbank der Kirche an den Mittelgang, doch auf die rechte Seite. Zwei Meter lagen zwischen den beiden Männern.
    »Ich habe gesehen, dass Sie hier hereingegangen sind«, sagte der Priester schließlich.
    Zbigniew nickte. Genau das sollte er auch gesehen haben. Er erwiderte nichts, sah den Priester bloß fragend an.
    »Es tut mir leid«, fuhr dieser fort. »Pfarrer Mehrer ist ein alter Mann. Ich werde ihn im nächsten Monat ablösen, als Pfarrer für mehrere Gemeinden hier in der Vulkaneifel. Pfarrer Mehrer war immer ein guter Mann, ich habe ihn damals schon als Kind erlebt. Wissen Sie, ich bin hier aufgewachsen. Zurzeit übergibt er mir den … Stab. Wir können froh sein, dass hier nicht noch mehr Gemeinden zusammengelegt werden. Dass hier überhaupt noch eine seelsorgerische Betreuung stattfindet.«
    Zbigniew nickte. Er freute sich für das Seelenheil der Vulkaneifel.
    Nein, er wollte nicht zynisch denken. Vermutlich war es wichtig für viele Menschen hier.
    Er fragte sich, wie groß die Wahrscheinlichkeit gewesen war, beide Pfarrer heute an diesem Ort anzutreffen, wenn mehrere Gemeinden zusammengelegt worden waren.
    »Sie haben nach einem jüdischen Paar gefragt«, fuhr der junge Priester fort. »Ich kann Ihnen möglicherweise ein bisschen weiterhelfen. Die Geschichte ist bekannt, aber man spricht hier nicht so gerne darüber. Das ist eines der dunkelsten Kapitel dieses Ortes.«
    Zbigniew nickte.
    »Natürlich redet ohnehin niemand freiwillig über die Nazizeit … über das, was auch hier in der Eifel stattgefunden hat, die Deportationen und alles. Aber die Geschichte mit dem jüdischen Paar, das ist eine ganz besonders sensible Angelegenheit.«
    »Weil das Paar nicht vom Naziregime selbst getötet wurde«, sagte Zbigniew. Er fand es bereits beim Aussprechen ekelerregend, dass dies von der Bevölkerung als schlimmer gewertet wurde als die systematische, planmäßige Vernichtung.
    Der Priester sah ihn an, offenbar überrascht, dass Zbigniew diesen Hintergrund bereits kannte.
    »Wenn Sie so wollen. Es waren ein paar Jugendliche vom Dorf, hier, normale Kinder, die in der Hitlerjugend aktiv waren und gerade eben noch nicht zum Krieg eingezogen worden waren, obwohl sie vielleicht gern hätten kämpfen wollen. Eine Clique, so würde man es heute nennen. Was genau passiert ist, kann ich Ihnen auch nicht mehr sagen, aber die Jugendlichen haben das jüdische Paar wohl in einer Scheune aufgefunden, zur Rede gestellt und einfach hingerichtet. Direkt erschossen. Die Blutscheune, so haben sie den Ort nachher im Dorf genannt. Der Bürgermeister hat anschließend die Scheune abbrennen lassen und die Jugendlichen mit dem Rohrstock bestraft.«
    Zbigniew wollte ein »immerhin« äußern, konnte es sich aber gerade noch verkneifen.
    »Wie gesagt, nicht weil sie Juden getötet hatten. Sondern weil es nicht rechtmäßig, nicht nach den Regelungen des Regimes geschah. Das hat man seltsamerweise damals alles sehr genau genommen.«
    »Sonst hätte die Massenvernichtung auch nicht funktioniert«, sagte Zbigniew und kam sich altklug vor. Der Priester nickte.
    »Wissen Sie, wann das geschehen ist?«
    »Ja. Das wissen alle Älteren hier, und so habe auch ich es erfahren. Es war im Juni 1943. Das genaue Datum habe ich nicht im Kopf, aber das lässt sich herausfinden.«
    Zbigniews Herz jubilierte. Er würde ein Datum haben. Ein konkretes Datum. Einen Punkt, von dem aus er nach Eva Weissberg suchen konnte.
    »Die Dorfgemeinschaft hatte die Leichen in ein anonymes Grab gepackt; erst nach dem Krieg wurde durch Nachforschungen bekannt, wer die beiden Erschossenen waren. Sie hatten gefälschte Pässe bei sich. Später hat man ihnen ein Ehrengrab auf dem Friedhof gegeben. Wir hatten einen Bürgermeister in den siebziger Jahren, der in dieser Hinsicht sehr akkurat war. Wenn Sie wollen, zeige ich es Ihnen. Soweit ich mich erinnere, steht auf den Steinen auch das genaue Todesdatum, sofern es Sie interessiert.«
    Zbigniew lächelte den

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