Die tote Schwester - Kriminalroman
fragen.«
»Ich weiß es nicht. Da musst du jemanden aus der Ermittlungskommission fragen.«
Zbigniew nickte.
Er musste Zeynel fragen. Den, der ihm nichts sagte.
»Also«, hob Dieter Weber den Arm zum Abschied, »lass uns morgen mal telefonieren. Oder komm im Büro vorbei, wenn du Langeweile hast. Nächste Woche fängst du doch eigentlich sowieso wieder offiziell an, oder wie war das?«
Zbigniew nickte.
»Da kannst du Gift drauf nehmen.« Ihm fiel etwas ein. »Ich hab heute schon meinen Arzttermin verpasst.«
Dieter Weber lächelte.
»Dann bist du ja fast wieder der Alte. Ich freu mich drauf.«
Sein erfahrener Kollege verschwand durch die Tür zum Innenhof. Der Beamte im Eingang nickte ihm zu, lächelte dann freundlich zu Zbigniew, während dieser sich in einen der Ledersessel fallen ließ.
Sie waren viel zu tief, diese Sessel.
Er saß da und betrachtete den Kronleuchter, der im Halbdunkel nur wenige Lichtreflexe zeigte.
Eigentlich hätte man die Atmosphäre in diesem Foyer genießen können, eine Welt aus einer anderen Zeit. Aber Zbigniew war mit dem Kopf ganz woanders.
Er hatte den Sinn für die Zusammenhänge verloren.
Machten sie überhaupt noch irgendeinen Sinn?
Edina. Polizeischutz.
Lena.
Er blieb nun hier sitzen, so lange, bis Zeynel herausgehen würde. Er würde ihn sich schnappen und nach Edina fragen.
War der Bankangestellte noch hier, der Lena von Angesicht zu Angesicht gesehen hatte? Würde Zbigniew ihn noch befragen können? Heimlich, natürlich, ohne Wissen der Ermittlungskommission?
Er würde wissen wollen, wie Lena ausgesehen hatte, wirkte sie gesund, wirkte sie abgekämpft, wirkte sie gequält? Auf den Videoaufzeichnungen ließ es sich nicht erkennen.
Er musste unbedingt mit dem Bankangestellten reden.
Vermutlich war er im Krankenhaus. Und die anderen Mitarbeiter der Bank, die Lena und den Mann gesehen hatten, waren nach den Vernehmungen nach Hause geschickt worden.
Wieso hatten sie ihn nicht sofort angerufen? Er hätte Wichtiges beitragen können, wenn er bei den Vernehmungen der Augenzeugen anwesend gewesen wäre. Wenn er bloß hätte zuhören können, was sie erzählten. Zbigniew kannte Lena, er wusste, wie sie wann in welchen Situationen aussah. Ihre Schauspielereien, ihre Neckereien. Zbigniew hätte die besseren Fragen stellen können.
Aus den dreißiger Jahren.
Alles hatte mit damals zu tun.
Irgendetwas war damals geschehen, und es geschah heute wieder. Es geschah neu. Oder es war eine Folge dessen, was damals geschehen war.
Vor Zbigniew auf dem Tisch lagen einige Broschüren der Bank. Unter anderem ein etwas dickeres, edel aussehendes Buch, das Zbigniews Aufmerksamkeit erregte. Festschrift zum 200-jährigen Bestehen der Privatbank Stürmer, so stand es in goldenen Lettern in Leinen geprägt.
Die Vergangenheit.
Es ging nicht um die Gegenwart, es ging um die Vergangenheit.
Zbigniew schlug das Buch auf.
Die Stürmer-Bank war 1806 gegründet worden …
Zbigniew erstarrte bereits auf der ersten Seite.
Er sprang mitsamt Buch auf.
Ein brennender Schmerz fuhr in seinen Rücken, dorthin, wo er vor einem halben Jahr den Bandscheibenvorfall gehabt hatte.
Das Warnzeichen seines Körpers ignorierend, rannte Zbigniew mit dem Buch auf den Hof, wo ihm gerade Zeynel mit ein paar Beamten und einem Mann, der nach Bankdirektor aussah, entgegen kam.
»Alles klar?«, blieb Zeynel irritiert stehen.
»Welche Nummer hatte das Schließfach?«, fragte Zbigniew hastig.
»Das war die Dreiundzwanzig, wieso?«
Zbigniew klappte das Buch auf, deutete auf die ersten Zeilen.
»Die Bank hatte früher einen anderen Namen«, presste Zbigniew hervor. »Sie wurde 1806 von Abraham Immermann gegründet.«
11
»Danke, dass Sie sich einen Moment nehmen«, sagte Zeynel zum Bankdirektor, als dieser mit ihnen in sein Büro ging.
Der Direktor des Bankhauses Stürmer, ein schlanker Mittfünfziger mit tiefschwarzen Haaren, nickte wie beiläufig. Er setzte sich in seinen Sessel, der hinter einem den Raum dominierenden Schreibtisch stand. Von hier aus, im obersten Stockwerk des Bankgebäudes, hatte man einen hervorragenden Ausblick auf den nur etwa einhundert Meter entfernt liegenden Kölner Dom, der still in die Nacht hinein leuchtete.
»Wie kam es eigentlich damals zu der Umbenennung der Bank?«, fragte Zeynel.
Zbigniew hatte eine Ahnung, auch ohne die vollständige Lektüre der Festschrift. Er vermutete, dass Zeynel durch seinen anderen kulturellen Hintergrund noch weniger über das Dritte Reich
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