Die tote Schwester - Kriminalroman
wusste als er selbst. Zeynel fuhr fort, da der Bankdirektor nicht gleich antwortete.
»Wurde die Bank in den Dreißigern arisiert?«
Der Bankdirektor nickte stumm. Zbigniew dachte nur kurz, dass er Zeynel mal wieder unterschätzt hatte. Endlich antwortete der Direktor.
»Ja, 1936 hat es die Immermann-Bank getroffen. So ging es den meisten jüdischen Unternehmen, die die Nazis für erhaltungswürdig befanden.«
»Was heißt das konkret?«
»Der damalige Hauptgesellschafter, Simon Immermann, musste seine Anteile an den Minderheitsgesellschafter Peter Stürmer abtreten. Damit war die Bank dann formal in nichtjüdischer Hand. Das passierte bei allen Banken zu jener Zeit. Sogar bei den Oppenheims, obwohl die schon vor Ewigkeiten zum Katholizismus übergewechselt waren.«
»Und was wurde aus Simon Immermann?«
»Der hat die Bank dann noch faktisch mit weitergeführt, bis er auch das nicht mehr durfte. Die gesamte Familie wurde 1941 – oder war es 1942, ich weiß es nicht genau – deportiert. Eine … schreckliche Geschichte.«
Der Bankdirektor war in ein Murmeln versunken. Zbigniew war sich nicht sicher, ob es zu der Geschichte dazugehörte oder ob es ernsthaftes Mitgefühl war.
»Wir haben diesen dunklen Punkt in der Historie aber durchaus in unserer Festschrift aufgearbeitet«, fügte der Direktor nun bescheiden an.
Dann war ja alles gut.
Zeynel fragte weiter; Zbigniew wunderte sich, dass er sich nun so dezidiert für die geschichtlichen Hintergründe interessierte. Vermutlich hatte er begriffen, dass der ganze Fall viel tiefer ging, als er bislang vermutet hatte.
»Hätte man dann nicht die Bank nach dem Krieg wieder umbenennen und an die ursprünglichen Besitzer zurückgeben müssen?«
Der Bankdirektor lachte, in einem seltsamen Ton, als sei die Frage absurd.
»Hätte, hätte. Schauen Sie sich manche der großen Warenhäuser an, Kaufhäuser. Da ist auch an die Juden, denen die früher gehörten, nichts zurückgegeben worden … Beim Bankhaus Salomon Oppenheim ist es dagegen so geschehen, ja, das stimmt natürlich. Das Problem bei uns war, dass alle tot waren. Und wo kein Kläger, da kein Richter. Das Perfide war ja damals, dass die Anteilsverkäufe in den dreißiger Jahren nach damaligem Recht freiwillig waren. Die Freiwilligkeit erzwingen, da war das NS -Regime ganz hervorragend drin. Wenn Sie sich das anschauen, erst in den letzten Jahren – also, ich meine mal so ab den neunziger Jahren – sehen einige der Nutznießer der damaligen freiwilligen Verkäufe langsam ein, dass das vielleicht doch nicht alles so freiwillig war. Aber, wissen Sie, Peter Stürmer war kein schlechter Mann, er war ein alter Freund von Simon Immermann. Er hat auch nach dem Krieg einen Fonds aufgelegt zur Hilfe von jüdischen Mitbürgern in Not. Aber das ändert natürlich alles nichts an dem, was geschehen ist.«
Zeynel nickte. Der Bankdirektor sprach weiter.
»Wir haben übrigens noch mal einen Zeitabgleich gemacht mit den Einmietungen. Das Schließfach wurde 1937 angemietet, für fünfundsiebzig Jahre.«
Zbigniew und Zeynel sahen sich ungläubig an.
»Für fünfundsiebzig Jahre?«, fragte Zbigniew.
Der Bankdirektor nickte.
»Da wir nicht wissen, wer der Inhaber ist, können wir auch niemanden anschreiben. Wir wären froh, wenn alle von diesen alten Schließfächern aufgelöst würden, dann könnten wir den hinteren Keller dichtmachen. Er entspricht keineswegs den modernen Sicherheitsanforderungen, wie wir ja heute gesehen haben. – Aber es gibt immer noch einige aktive Fächer. Nummer 23 wäre 2012 fällig gewesen. Wir haben noch eines bis 2016, dann ist Schluss.«
»Geht das denn, ein anonymes Schließfach bei einer Bank in Deutschland?«
»Heute natürlich nicht mehr.«
Plötzlich kicherte der Bankdirektor seltsam.
»Ich meine, in Anbetracht dessen, dass die Volksführer damals ein tausendjähriges Reich angekündigt hatten, sind fünfundsiebzig Jahre doch gar nicht so viel.«
»Von wann ist denn das letzte Fach?«
»Auf jeden Fall vor 1945.«
»So alt?«
»So alt.«
»Und bei den Schließfächern, kommen da noch Leute?«
»Also, bei dem, das jetzt ausgeraubt wurde, kann ich mich nicht erinnern, jemals jemanden gesehen zu haben. Bei den anderen gibt es gelegentlich noch … Publikumsbesuch. Eine uralte Dame, die einmal im Jahr dort reinschaut, keine Ahnung, was sie da macht. Verzeihen Sie mir diese Indiskretion.«
»Wie werden Schließfächer dann eigentlich bezahlt?«
Der Bankdirektor lächelte.
»Die
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