Die tote Schwester - Kriminalroman
Krups-Maschine laufen, dann setzte sie sich zu ihnen. Zbigniew hatte das Gefühl, dass die Geschichte über Martin nun erst beginnen würde. Er holte Luft, um das Thema zu wechseln. Die Bäuerin kam ihm zuvor.
»Aber Sie sind nicht wegen mir hier«, sagte sie, während sie den Kaffee eingoss. »Butterbrötchen dazu?«
»Danke, nein«, antwortete Zbigniew und begriff, dass die Frau nicht von einem Brötchen aus Butterteig sprach, sondern von einem der kleinen Butterbrote, die nun plötzlich in einem Porzellanteller auf dem Tisch standen.
»Ich hätte gern eines«, sagte Tonia fast zeitgleich in einem fröhlichen Ton und bediente sich. Sie warf Zbigniew einen kurzen, vorwurfsvollen Blick zu. Zbigniew war dennoch nicht nach einem Butterbrot zumute.
»Sie deuteten vorhin an, dass Sie etwas über die Geschichte wissen könnten, wegen der wir hier sind«, sagte er ungeduldig.
»Ja, das kann schon sein. Es ist alles schon so lange her. Manchmal komme ich mir so vor, als hätte ich zwei Leben gelebt. Ach, was sage ich, mindestens drei.«
»Wir sprechen von der Zeit vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs. 1943. Hat man den Krieg hier überhaupt so mitbekommen?«
»Oh, hier sind einige Bomben runtergegangen. Mitbekommen sowieso, ja, was denken Sie, wenn die ganze Zeit die Flieger über Köln kreisen.«
»Gab es denn in jener Zeit noch jüdische Kinder oder Mitbürger hier im Ort?«
»Darüber weiß ich nichts«, sagte die alte Frau schnell. Zbigniew kam es so vor, als ob sie seine Frage noch nicht einmal richtig bis zu Ende gehört hatte.
»Aber es gab Gerüchte über einen … jüdischen Bastard, wie Sie es formuliert haben?«
»Ja. Ich hätte davon ja gar nichts mitbekommen, eigentlich … Aber meine Mutter war damals die Hebamme im Ort, Sie verstehen.«
Tonia lächelte Zbigniew an. Der Blick einer Siegerin.
»Sie lebt vermutlich nicht mehr?«
»Nein, sie war Jahrgang 1908. Gott hab sie selig, sie war eine gute Frau.«
Zbigniew nickte.
»Ihre Mutter hat also die Kinder auf den Höfen hier entbunden?«
»Ja. Eigentlich alle Kinder. Damals ist man wegen so was ja noch nicht ins Krankenhaus gefahren. Kranken haus, sehen Sie, als ob man krank ist, wenn man ein Kind gebärt. Ich habe fünf Kinder geboren und war mein ganzes Leben lang nie krank.«
So hatte Zbigniew noch nie darüber nachgedacht.
»Der ›jüdische Bastard‹, wie Sie ihn genannt haben … Erinnern Sie sich zufällig an den Vornamen des Kindes?«
Die Dame nahm einen Schluck Kaffee, schüttelte dann verneinend den Kopf.
»Es war auf dem Kistenmacherhof, aber an den Vornamen erinnere ich mich nicht mehr.«
Der Hof, der auf seiner Liste stand.
Eine Gänsehaut bildete sich auf Zbigniews Oberarmen. Er brauchte einen Moment lang.
»Hieß es vielleicht Christina Wetzell?«
Die Frau hob ihren Kopf, sah Zbigniew an. Ihre Gesichtszüge entspannten sich, dann nickte sie langsam.
»Ja, das war der Name. Gott, es ist schon so lange her, ich hatte es völlig vergessen … Aber ja, Christina, so hieß das Kind, ich bin mir sicher.«
Zbigniew spürte, wie Erregung ihn ergriff.
Er hatte die Spur, die er so lange gesucht hatte.
Christina Wetzell.
Er wollte aufspringen, losrennen.
Ruhe bewahren.
»Was ist damals vorgefallen?«, fragte er.
Die Bäuerin kaute ein Butterbrot zu Ende, während sie sich zu sammeln schien.
»Meine Mutter hatte ein Mädchen auf dem Kistenmacherhof entbunden. Es war kein gesundes Kind, im Gegenteil. Ich erinnere mich nicht mehr so genau, weiß aber, dass sie einige Tage später den Hof wieder besucht hatte. Das war damals ganz selbstverständlich, dass man noch mal hinging und schaute, ob alles in Ordnung war. Und da kam meine Mutter völlig verstört zurück.«
»War das Kind gestorben?«
Die Frau sah ihn irritiert an.
»Gestorben? Nein. Meine Mutter war sich sicher, dass das Kind ein anderes Kind war. Ein gesundes, kleines Mädchen, die Haare sahen anders aus, das Gesicht, der Körper, alles.«
Zbigniew sah Tonia an, auch ihr stockte der Atem. Was war die nächste logische Frage?
Das Kind war ein anderes.
»Was hat Ihre Mutter daraufhin gemacht?«
»Sie hat natürlich weitere Male mit den Eltern gesprochen. Die wollten sich so etwas aber natürlich nicht sagen lassen und behaupteten, meine Mutter habe sich das nur eingebildet. Sie stritten sich mit meiner Mutter, schließlich durfte sie nicht mehr auf den Hof kommen.«
»Und dann?«
»Ich weiß nicht genau, wie es geschah … aber irgendwie erfuhr meine Mutter, dass
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