Die tote Schwester - Kriminalroman
zu von einem Gestapo-Mann, der sein uneheliches Kind in eine Bauernfamilie steckt.«
Zbigniew ließ sich diese Vorstellung in seinem Kopf zergehen.
Musste eine schwarze Mercedes-Limousine zu jener Zeit zwangsläufig den Besuch der Gestapo bedeuten?
»Was sich natürlich mit der ersten Geschichte nicht ausschließt.«
»Na ja, doch. Es gab zu der Zeit hier keine Juden mehr. Die waren alle schon … weg. Und die Synagoge war längst ein Abstellschuppen.«
Dafür, dass sie nichts über die Juden in Stommeln wusste, wusste sie eine Menge.
»Gibt es eine Beschreibung des Mannes, der das Bündel brachte?«
»Nein.«
»Und ein Kennzeichen wissen Sie auch nicht, oder?«
Zbigniew musste über seine eigenen Worte lächeln. Die alte Frau lächelte nun auch, schüttelte verneinend den Kopf.
»Entschuldigen Sie«, fügte Zbigniew an, »ich bin Polizist.«
In seinem Kopf formte sich eine Vorstellung, die er aber noch nicht zu hundert Prozent greifen konnte.
»Gab es denn noch andere Kinder in der Familie?«, fragte Tonia.
»Nein, es war das Einzige. Und es blieb auch das einzige, soweit ich weiß.«
Zbigniew klinkte sich wieder ein.
»Und Sie sagten, Sie wüssten nicht, wo Christina Wetzell heute ist.«
»Nein.«
»Was ist denn mit der Familie geschehen?«
Die alte Frau überlegte kurz.
»Sie sind irgendwann nach dem Krieg weggezogen von hier. Ich glaube, sie hatten ein Haus von den Großeltern geerbt. Es war gar nicht so lange nach Kriegsende. Damals gab es so ein Tohuwabohu, mit den Amerikanern und überhaupt. Die haben ja in alle Häuser hier Leute aus Köln reingesteckt, da war ja alles kaputt. Und dann kamen noch die aus dem Osten, das war eine Zeit. Sie müssen sich das vorstellen, bei uns hat in jedem Zimmer eine andere Familie gewohnt, teilweise vier bis fünf Leute. – Und jetzt leb ich hier ganz allein.«
Zbigniew ignorierte ihren letzten Satz.
»Und deshalb sind dann die Wetzells nach dem Krieg fortgezogen. Mit dem kleinen Mädchen«, sagte er.
»Immerhin haben das Mädchen und die Familie den Krieg überlebt«, sagte Tonia von der Seite. »War der Mann denn auch hier? Hätte er nicht im Krieg sein müssen?«
»Nein, er war wohl hier. Aber so genau weiß ich das alles auch nicht mehr.«
Die Bäuerin trank ihren letzten Schluck Kaffee aus, schien über etwas nachzudenken. Zbigniew schwieg. Sah Tonia an, die ebenso nachzudenken schien.
Eine Weile schwiegen sich alle an.
Er schenkte sich aus der Karaffe nach, als die alte Frau weitersprach.
»Da war ein Einbruch. Sie sind im Zimmer von dem Wetzell damals eingebrochen. Das war auch ein Grund, warum sie fortgezogen sind«, sagte die Frau nun.
»Ein Einbruch? War etwas gestohlen worden?«
»Nein, ich glaube nicht. Aber ich weiß es natürlich nicht. – Ich erinnere mich, dass die Leute im Dorf damals sagten, er sei selbst schuld.«
»Schuld? Warum?«
»Er hat wohl irgendwann in der Dorfkneipe rumposaunt, dass er ein reicher Mann sei.« Sie lächelte. »Na ja, vermutlich hat irgendjemand es geglaubt. – Und dann waren sie weg.«
»Mit der kleinen Christina.«
»Ja.«
»Aber wohin, das wissen Sie nicht.«
Er hatte diese Frage schon gestellt. Aber inzwischen war die Bäuerin viel tiefer in die damalige Zeit eingesunken, hatte sich an andere Dinge erinnert. Es war einen Versuch wert.
Er spürte, wie die alte Frau sich anstrengte. Dann lächelte sie plötzlich ein wenig, zwinkerte Zbigniew zu, als ob ihr klar war, dass die nun folgende Information ihm nicht viel einbringen würde.
»Nach Süden, glaube ich«, sagte sie.
Vor dem Haus schaltete Zbigniew sein Mobiltelefon ein. Er ignorierte die Mailbox, die sich sofort meldete, und rief in der Einsatzleitstelle an. Es meldete sich Ralf Reilmann, den er noch von früher kannte – Reilmann war fast zum gleichen Zeitpunkt wie er von der Bonner zur Kölner Polizei gewechselt.
»Tut mir leid, was mit deiner Freundin ist«, sagte Reilmann. »Die arbeiten nebenan aber auf Hochtouren. Dieser Neue von euch, Zeynel Aspendos, ist wirklich ein großartiger Typ. Sehr kompetent.«
»Ja«, sagte Zbigniew nur. Es war gut so, aber irgendwie tat es weh. »Sag mal, könntest du mir einen Gefallen tun?«
»Klar, worum geht’s?«
»Ich bin da an … sagen wir, an einer alternativen Spur dran. Könntest du mir sagen, ob eine bestimmte Person in Deutschland gemeldet ist?«
»Alternative Spur«, lachte Reilmann, »das ist Zbigniew Meier, wie er leibt und lebt. Schieß los.«
»Christina Wetzell. Mit zwei
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