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Die Tote vom Johannisberg

Die Tote vom Johannisberg

Titel: Die Tote vom Johannisberg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Buslau
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mit der Bergischen Universität.
    Ich war hier oben noch nie gewesen. Ich kam mir vor wie an einem Flughafen. Ich sah ineinander verschachtelte Betongebäude, zwischen denen kleine Gehwege verliefen. Ein paar Platanen sorgten für rationell angelegtes Grün. Zentrum war offenbar ein riesiger Betonturm. Ein paar junge Leute lungerten davor herum.
    Da ein deutliches Schild »Information« versprach, begab ich mich hinein. Am Eingang passierte ich einen Mann mittleren Alters, der in einem kleinen Glaskasten saß und mürrisch beobachtete, wer rein- und rausging. Das erste, was ich sah, war ein Geldautomat, an dem die Studenten wahrscheinlich ihr Bafög abhoben. Rechts daneben befand sich eine gläserne Schautafel, in der Plastikbuchstaben die Fachbereiche aufzählten, die man in diesem Gebäude studieren konnte. Musik oder Musikgeschichte war nicht dabei.
    Ich ging wieder hinaus und fand an einer der Betonsäulen einen kleinen, wohl eher zufällig aufgeklebten Übersichtsplan, der über die gesamte Anlage informierte. Ich erfuhr, daß sich der Geisteswissenschaftliche Bereich (Bereich 1) in der Gaußstraße befand, und machte mich auf den Weg. Unterwegs kam ich an beschrifteten Gebäuden vorbei: Riesige Schilder bezeichneten die Blöcke als »ZH«, »U«, »HI« oder »BZ«. Keine Ahnung, was das bedeuten sollte. Ein kleines, am Geländer eines Gehweges befestigtes Brett sprach da eine deutlichere Sprache: »Kneipe« stand darauf, und ein Pfeil wies nach links.
    Ich passierte eine Reihe von Notrufsäulen, Parkdecks und wurde an allerlei anderen Betonburgen vorbeigeführt. Schließlich öffnete sich der Blick auf einen mehreckigen Betonklotz mit der Aufschrift »ME«, was offensichtlich »Mensa« hieß.
    Ein weiteres Schild davor informierte mich darüber, was mich hinter der Eingangstür von »ME« erwartete:
     
    Mensa
    ME. 02-05
     
     
    Bergisches Zimmer
    ME. 02
     
     
    Cafeteria
    ME. 03
     
     
    Clubräume
    ME. 03
     
     
    Bierschwemme
    ME. 04
     
     
    Wupperstübchen
    ME. 04
     
    Und so weiter.
    Ich dachte an mein Studium in Köln und welche Verwirrung dort im ersten Semester geherrscht hatte, bis man die Räume der jeweiligen Veranstaltungen fand. Hier in Wuppertal war alles anders. Hier sagte man einfach: Wir treffen uns nachher in ME. 02, und jeder wußte Bescheid. Offenbar hatten sich die Mathematiker der Uni um die Gebäudedefinition gekümmert. Sicher senkte das die Studienzeiten immens und sicherte so die Wettbewerbsfähigkeit des Standortes Wuppertal.
    Immerhin gab es hinter der Mensa einen schönen Blick über die Stadt zu bewundern. Mein Bürofenster konnte ich nicht sehen, dafür aber das Akzo-Nobel-Hochhaus am Kreisverkehr.
    Als ich den Saal mit dem Satorius-Vortrag gefunden hatte, war es bereits halb vier. Ich schlich mich hinein und nahm in einer der hintersten Reihen Platz.
    Die Anordnung in dem künstlich beleuchteten Raum war klassisch: unten das Podium des Dozenten mit Tafel und Rednerpult; die hölzernen Sitzreihen gingen nach oben, von wo aus man den Raum betrat. Sehr wenige Studenten saßen in den Reihen. Manche hingen über den kleinen Tischchen und schienen vor sich hinzudämmern.
    Satorius stand am Rednerpult und sah nicht aus wie einer, der gerade von der Beerdigung kam, sondern wie jemand, der jeden Tag zwei Stunden Tennis spielt und sonst mit seiner Privatjacht unterwegs ist. Die angegrauten Haare kontrastierten mit einer gesunden braunen Gesichtsfarbe. Ich wußte, daß er Mitte fünfzig war, man hätte ihn jedoch durchaus als Vierziger einschätzen können. Er trug eine Brille, allerdings nicht auf der Nase, sondern in der rechten Hand, mit der er seinen Vortrag gestenreich unterstrich. Wahrscheinlich war sie nur ein modisches Accessoire, das aber gut zum grauen Versace-Anzug mit Weste paßte.
    Er sprach über sein Lieblingsthema: Wuppertal und die Musik. Wuppertal und Lehár. Und dann ging es nur noch um Lehár, Lehár und nochmals Lehár. Das hatte ich alles schon gelesen, und ich geriet in einen tranceähnlichen Zustand, der mich auch während meines Studiums in den Vorlesungen oft befallen hatte.
    Ich schreckte auf, als die Studenten mit den Fäusten auf die Tischplatten hämmerten: die übliche akademische Art der Beifallsäußerung.
    Satorius bedankte sich artig und ordnete seine Manuskripte. Ich ging die Treppe hinunter, um mich vorzustellen, doch der Professor war noch von einigen besonders Interessierten umringt - auffälligerweise von vielen jungen Damen.
    Schließlich

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