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Die Tote vom Johannisberg

Die Tote vom Johannisberg

Titel: Die Tote vom Johannisberg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Buslau
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die Blicke der Verkäuferin ignorierend, die merkwürdigerweise ganz normale Sachen trug - nicht die eigenartigen Textilien, die sie verkaufte.
    Jutta störte das überhaupt nicht. Sie verschwand gleich mit einer ganzen Kollektion in der winzigen Umkleidekabine. Das Räumchen war mit einer Schwingtür ausgestattet, die nur den Körperbereich vom Oberschenkel bis zum Brustbein verdeckte - vorausgesetzt, man besaß die normierte Körpergröße von schätzungsweise einem Meter fünfundfünfzig. Jutta war fünfzehn Zentimeter größer, was dazu führte, daß sie beim Umziehen jedem im Raum Anwesenden sowie dem Publikum, das hinter dem Riesenfenster auf der Straße vorbeiflanierte, ihren lila BH präsentierte. Das Ding war durchsichtig wie ein hauchdünner Seidenstrumpf. Doch auch daran nahm sie keinen Anstoß, ignorierte ebenfalls die Fachkraft, die eilig einen Haufen Anprobiermaterial anschleppte, und schlüpfte wieder einmal in die Rolle, die ihr alle paar Wochen die liebste war: in die der Detektivassistentin.
    »Klar ist also, daß es kein Selbstmord war«, stellte sie so kategorisch fest, daß sich zuerst die Verkäuferin angesprochen fühlte, und zog beherzt den hellbeigen Leinensack über den Kopf. »Im übrigen hättest du dich eher mal mit einer ganz anderen Frage beschäftigen sollen.«
    »Und die wäre?« fragte ich von meinem Stuhl aus, umgeben von umgekippten und übereinanderliegenden Plastiktüten.
    »Hast du Birgit Jungholz mal nach weiteren Bekannten Reginas gefragt? Das hier paßt nicht, geben Sie mal das da.«
    Ich seufzte. »Sie hat mir glasklar gesagt, daß sie die einzige Freundin von Regina gewesen sei, und außerdem haben ihr die Eltern doch sowieso keinen Kontakt zu irgendwem erlaubt. Warum ist diese Frage jetzt gerade interessant?«
    »Na, ganz einfach. Wir sind uns doch wohl darüber einig, daß Regina bestimmt nicht allein auf diesem Dachboden war.« Einig war etwas übertrieben; ich hatte schon mal darüber nachgedacht, aber ich ließ sie weiterreden.
    »Nun hat sie sich aber wohl kaum mit Satorius dort oben getroffen.« Jutta war mit dem Umziehen fertig und trat aus der Kabine, als würde sie eine Saloontür passieren. Das helle Leinenkleid, das an den Oberschenkeln endete, brachte zwar Juttas Beine zur Geltung, doch ansonsten sah sie in dem Designerkleidungsstück aus wie das arme Mädchen aus Andersens Märchen, das Streichhölzer verkauft - allerdings in einer Technovariante, wenn man Juttas grellrot gefärbte Haare berücksichtigte.
    »Warum nicht?« fragte ich.
    »Ist doch klar«, sagte Jutta und zupfte an dem Kleid herum. »Der Mann stand schließlich zu dem Zeitpunkt auf der Bühne.«
    »Nicht gleich. Vielleicht waren sie ja zusammen oben. Und er ist dann zu seinem Auftritt gegangen.«
    »Und sie hat sich auf dem Rückweg im Dunkeln verlaufen und ist abgestürzt.« Jutta drehte sich ein paarmal um den viel zu kleinen Spiegel und suchte nach dem Preisschild. Mühsam entzifferte sie die handgeschriebenen Zahlen. »Tausendsechshundert? Prima, nehmen wir.« Und zu mir gewandt fügte sie hinzu: »Bingo. Das hört sich ja schon nach einer Theorie an.«
    »Ich werde sie prüfen«, versprach ich.
    Mit einem Schritt war sie wieder in der Kabine; davor stand die Verkäuferin, die in diesem Moment wahrscheinlich zum ersten Mal jemanden gefunden hatte, der ihr die Sackware abkaufte.
    Kurz darauf verließen wir das Geschäft in Richtung Laurentiusplatz.
    »Wollen der Herr Detektiv vielleicht einen Eiskaffee oder eine andere Erfrischung? Etwas Warmes vielleicht?« fragte Jutta, als wir vor dem Café Engel standen, das sich auf der Fassade eigenartigerweise »Kaffee« schreibt und in dem, wie eine Marmortafel an der Fassade verkündet, bereits der deutsche Kaiser zu Gast gewesen war. Damals beherbergte das Haus jedoch noch kein Café, sondern eine Bank. Es hätte mich auch gewundert, wenn der alte Wilhelm nur zum Kaffeetrinken nach Elberfeld gekommen wäre.
    »Ich geb einen aus«, bestimmte Jutta.
    »Da sag ich nicht nein.«
    Wir setzten uns so, daß wir den Platz im Blick hatten - ein Ort, der mir immer wie ein kleines Stück Italien in Wuppertal vorkommt. Allerdings eher im Sommer. Jetzt im Herbst sah alles aus wie ein bergischer Hinterhof. Ich versuchte, die Jahreszeit zu ignorieren, und bestellte einen Eisbecher. Jutta schien genauso zu denken und orderte das gleiche.
    »Weißt du«, sagte sie, als wir das Eis in uns hineinlöffelten, »ich denke, daß da eine Liebesgeschichte mit dem Professor

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