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Die Tote vom Johannisberg

Die Tote vom Johannisberg

Titel: Die Tote vom Johannisberg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Buslau
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hier. Aber schauen Sie sich mal diese schöne Handschrift an.«
    Er schlug ein zusammengeklebtes Heft auf. Ich sah schwungvoll gemalte Noten. Feine Striche wie hingetuscht. Akkurate Notenfähnchen. Darüber in großen runden Buchstaben der Titel »Wupper-Wellen«.
    »Sehen Sie hier.« Satorius deutete auf den Namen, der am Schluß des Stückes stand. »Franz Lehár« war dort zu lesen. »Das ist eindeutig seine Unterschrift.«
    »Warum ist sie den vorigen Besitzern dieser Noten nicht aufgefallen?« wollte ich wissen. »Lehár ist doch ein bekannter Komponist.«
    »Ach, sehen Sie, die Leute haben Papierkram in irgendwelchen Kisten, aber sie sind zu faul, die Sachen durchzusehen. Es ist nicht jeder so an kulturellen Dingen interessiert.«
    »Und das wollen wir ein wenig ändern«, sagte ich und hoffte damit, das Gespräch endlich auf ein informativeres Terrain zu bringen. »Ich habe erfahren, daß Sie auch in der historischen Stadthalle Konzerte geben. Ich denke, wir sollten einmal über diesen Konzertsaal sprechen. Arbeiten Sie gern dort, oder finden Sie die historische Dekoration überladen?«
    Satorius hatte seine Hand an die Stirn gelegt. Er räusperte sich wieder. »Ein guter Konzertsaal, gewiß. Ich denke, die Wuppertaler und all die Menschen, die in unserer Stadt zu Gast sind, sollten froh sein, daß dieses Bauwerk restauriert worden ist.«
    »Wann haben Sie zuletzt dort dirigiert?«
    »Ich weiß nicht genau …« Satorius machte eine abwehrende Handbewegung. »Ich glaube, es war Anfang November.«
    Ich bemühte mich, ein erstauntes Gesicht zu machen. Dann tat ich so, als sei mir plötzlich etwas eingefallen. »Richtig«, rief ich aus. »Der fünfte November. Der Tag, an dem das Unglück in der Halle passiert ist. Als jemand von der Empore stürzte.«
    »Nicht von der Empore«, sagte Satorius ausdruckslos. »Durch den Scheinwerferschacht.«
    »Ja, ja, natürlich«, warf ich ein. »Es stand in der Zeitung.«
    »Tragisch. Ein Schock für alle Beteiligten.«
    »Vor allem schlimm für die Frau, die dabei umkam. Wie hieß sie noch? Regina Mallberg, glaube ich.«
    Satorius blieb regungslos. »Na, Sie wissen ja sehr gut Bescheid. Daß Sie erst die Empore mit der Decke verwechseln, sich dann aber an den Namen erinnern können.«
    »Berufsgeheimnis«, sagte ich nur. »Stimmt es, daß sie Ihre Schülerin war?«
    »Ganz richtig. Aber gehört das zu Ihrem Artikel?«
    »Sie haben recht«, gab ich zu. »Sprechen wir weiter von Ihnen. Wie leben Sie privat? Sind Sie verheiratet?«
    »Nein. Keine Ehe, keine Familie. Meine Geliebte ist gewissermaßen die Musik.«
    Du Heuchler, dachte ich. »Und Ihre Tätigkeit ist sicher sehr aufreibend?«
    »Das kann man sagen.«
    »Wie hält man das eigentlich aus? Ich meine - wie bereitet man sich darauf vor, zwei Stunden vor einem Orchester zu stehen und zu dirigieren? Was macht man unmittelbar vor so einem Konzert?«
    Satorius sagte eine Weile nichts, und ich merkte, wie er mißtrauisch wurde. »Ich verstehe Ihre Frage nicht.«
    »Nun ja - ich habe einmal ein Interview mit einem Dirigenten gemacht«, fabulierte ich, »der sich vor jedem Konzert ins Publikum mischte. Niemand erkannte ihn, weil er seinen Frack noch nicht trug. Er wollte immer inkognito die Atmosphäre testen.«
    Satorius sah mich streng an. »Welcher Dirigent soll das gewesen sein? Ich halte das für Unsinn.«
    »Ich kann mich im Moment nicht erinnern - ich werde nachsehen. Aber egal. Wie ist das bei Ihnen?«
    »Ich brauche eine Stunde absolute Ruhe. Wenn das Konzert um acht Uhr beginnt, spreche ich ab sieben Uhr mit niemandem mehr. Ich lege mich in meiner Garderobe hin, und alle Musiker und Bühnenmitarbeiter wissen, daß sie sich auf dem Gang vor der Tür still zu verhalten haben.«
    »Aha«, sagte ich und notierte.
    »Was wollen Sie jetzt noch wissen?«
    »Kehren wir noch mal zum wichtigsten Thema zurück.«
    »Und das wäre?«
    »Lehár. Könnten Sie mir noch mal die Geschichte von der Entdeckung des Walzers erzählen? Ich finde sie wahnsinnig spannend.«
    Satorius’ Gesichtszüge glätteten sich. Ich zückte wieder meinen Notizblock.
    *
    Als ich in die Stadt zurückfuhr, ging ich das Gespräch in Gedanken noch einmal durch. Wenn es wirklich stimmte, daß sich Satorius grundsätzlich vor seinen Konzerten eine Stunde lang in der Garderobe aufhielt, war er nicht mit Regina Mallberg auf dem Dachboden zusammen gewesen. Aber vielleicht hatte er mich ja auch angelogen, genauso wie er seine Geliebte verleugnet hatte. Außerdem

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