Die Tote vom Johannisberg
drängte ich mich dazwischen. Die Mädchen guckten wie Teenager, denen man die letzte Modern-Talking-Eintrittskarte vor der Nase weggeschnappt hatte.
»Rott«, sagte ich laut und deutlich. »Wir waren verabredet.«
Satorius gab mir die Hand. »Entschuldigen Sie«, sagte er zur versammelten Weiblichkeit, und man wartete förmlich darauf, daß der Pfau sein Rad schlug. »Aber ich habe einen Interviewtermin mit einer wichtigen Fachzeitschrift. Wenn Sie an weiteren Details interessiert sind, besuchen Sie bitte meine Sprechstunde oder fordern Sie im Sekretariat der Musikhochschule meine Literaturliste an. Ich danke Ihnen.«
Dann bedachte er mich mit seiner Aufmerksamkeit.
»Für welche Zeitung schreiben Sie noch mal?« fragte er, als wir die Treppe in Richtung Ausgang erklommen.
Für eine wichtige Fachzeitschrift, wollte ich antworten. »Verschiedene. Ich arbeite für mehrere Tageszeitungen, aber auch für Zeitschriften.« Ich machte eine Pause, weil mir die Namen der Musikzeitschriften, die ich in der Bibliothek durchgeblättert hatte, plötzlich nicht mehr einfielen.
Satorius dachte nach. »Rondo? Fonoforum? Ihr Name ist Rott? Ach ja, ich erinnere mich. Sie haben doch auch die Rezension meiner Mozart-CD mit der Wuppertaler Kammerphilharmonie in Rondo geschrieben, oder? Ein außergewöhnlich kompetenter Beitrag, das muß ich schon sagen. Es gibt wenige Autoren, die die Kunst der Kritik heute noch beherrschen. Sie gehören aber ganz eindeutig dazu. Es freut mich, daß wir uns einmal persönlich kennenlernen.«
Ich staunte. »Ganz meinerseits«, antwortete ich. »Es ist ja auch immer wieder schön, wenn man etwas Positives über neue CDs schreiben kann.«
Satorius lächelte selbstgefällig. Die blauen Augen blickten genauso kalt wie vorher. Offenbar war er es gewöhnt, daß man ihn mit Komplimenten überhäufte.
»Na ja, dafür haben Sie aber am langsamen Satz der ›Linzer‹ kaum ein gutes Haar gelassen. Wenn ich mich nicht irre, haben Sie da mein Tempo als viel zu langatmig empfunden.«
»Trotzdem«, phantasierte ich. »Der Gesamteindruck zählt. Und der war sehr positiv. So kam ich ja auch auf die Idee, einen Artikel über Sie zu schreiben.«
»Na, um so besser. Hier entlang bitte. Hier findet gleich die nächste Veranstaltung statt. Wir gehen in einen anderen Hörsaal, wo wir ans unterhalten können, ohne einen Kollegen zu stören.«
Wir folgten ein paar labyrinthartigen Gängen. Immer wieder wurden Glastüren geöffnet, dann ging es über Treppen, und schließlich betraten wir einen Saal, der genauso aussah wie der andere. Wir setzten uns in eine der Bänke.
»Schießen Sie los«, erklärte Satorius dann.
Ich mußte die Journalistenmasche durchziehen, das war klar. Auf Regina Mallberg konnte ich erst später kommen.
»In Deutschland sind die Musikzentren über viele Städte verteilt. Mir ist daran gelegen, ein wenig informativen Austausch unter den Regionen zu vermitteln.«
Das war eine der Weisheiten, die bei der oberflächlichen Lektüre der Zeitschriften hängengeblieben waren. Irgendwann wurde auch einem Uninteressierten wie mir klar, daß es in allerlei Regionen kleine und große Festivals gibt, daß allein rund um Wuppertal alle möglichen Konzertsäle und Opernhäuser existieren und natürlich auch Orchester, die regelmäßig Konzerte geben. Die Bergischen Symphoniker zum Beispiel. Republikauf, republikab gibt es kleinere Kultureinrichtungen: Kurpfälzisches Kammerorchester, Festivals wie die »Schloßfestspiele Zwingenberg« oder die »Wormbacher Sommerkonzerte«.
»Unser Land ist ein bunter Teppich von Kulturaktivitäten«, führte ich meinen Gedanken weiter, »und da es immer mehr Kulturtourismus gibt, die Wege kürzer werden, interessiert sich der Hamburger auch für kulturelle Aktivitäten im Bergischen Land und der Stuttgarter für Festspiele, die in den neuen Ländern aus dem Boden wachsen.«
Ich wartete auf eine Reaktion.
»Schön gesagt«, erklärte Satorius und räusperte sich. »Aber alles graue Theorie. Gemeinplatz, um es drastischer auszudrücken.«
»Ich sage nur«, versuchte ich scherzhaft einzuwenden, »was ich immer von den Redakteuren zu hören kriege. Unsereins muß sich denen eben beugen. Sie wissen ja, wie das mit der Kultur heutzutage ist. Alles verkommt zum Tourismus. Wahre Werte interessieren nur, wenn sie sich zum Millionengeschäft der ›Drei Tenöre‹ aufbauschen lassen. Und dann bleibt nur noch heiße Luft übrig. Die Leute, die sich in den mehr oder weniger
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