Die Tote vom Johannisberg
zurückziehen. Aber dann sieht er mich auch.«
Es klingelte wieder.
»Wenn ich die Lichter ausmache«, sagte Jutta, »können wir rausgucken, und der von draußen sieht uns nicht.«
»Nein. Wenn die Lichter ausgehen, merkt er das. Gibt es kein Fenster von oben, von dem man die Treppen sehen kann?«
»Doch. Komm mit.«
Wir gingen hinauf in die obere Etage, wo es dunkel war. Jutta zog vor einem Flurfenster den Vorhang zurück. Unten beleuchtete eine Laterne die Treppe. Der Bereich vor der Eingangstür war durch ein kleines Vordach verdeckt. Es klingelte zum dritten Mal. Wir warteten. Die Zeit kam mir endlos vor. Schließlich sah man jemanden Weggehen.
»Ach - den hätten wir ruhig reinlassen können«, sagte Jutta.
Es war Tom.
»Finde ich nicht«, widersprach ich. Tom trug Bomberjacke, blaue Jeans und Springerstiefel. Er sah den Jungs, die uns bewachten, zum Verwechseln ähnlich.
*
»Das ist mir jetzt zuviel«, sagte Jutta und ließ sich auf das Sofa fallen. »Soll das wirklich heißen, Tom gehört zu dieser komischen Bande?«
Ich nickte. »So sieht es aus. Hast du eine Ahnung, was er wollte?«
»Ich glaube das einfach nicht.«
»Hat er mich gesucht? Oder wollte er vielleicht zu dir?«
»Um diese Zeit? Normalerweise kommt er früher.«
»Die können nicht wissen, daß ich hier bin. Verdammt, was ist da los?« Ich lief ein paarmal hektisch durch das Wohnzimmer. Jutta schwieg. »Ich habe doch aus meiner Wohnung frische Klamotten mitgebracht. Ich ziehe mich an. Ich muß noch mal los.«
»Jetzt? Was willst du machen?«
»Es ist genau die richtige Zeit.«
»Wofür?«
»Für einen Besuch in der Chérie-Bar. Da fängt der Betrieb ja erst so richtig an.«
»Bist du sicher? Ich meine - wenn unsere Vermutungen stimmen, dann …«
»…ist das die Höhle des Löwen. Genau. Und Wolfs Wohnung liegt auf dem Weg. Dem werde ich auch noch mal auf den Zahn fühlen. Notfalls werde ich aus ihm herausprügeln, wer hier wen erpreßt.«
Jutta seufzte. »Wenn du meinst, daß das alles so richtig ist.«
Ich zog mich eilig an und schnappte mir den BMW-Schlüssel, den ich auf das Kaminbord gelegt hatte. Daneben sah ich den Motorradschlüssel.
»Du kannst doch jetzt hier nicht so einfach hinausspazieren«, wandte Jutta ein.
»Natürlich nicht. Ich muß denselben Weg nehmen, den ich auch gekommen bin.«
»Durch das Badezimmerfenster.«
»Genau.«
18. Kapitel
Die Stadt war menschenleer. Sicherheitshalber stellte ich den Wagen hundert Meter von Wolfs Wohnung entfernt ab.
Ich hoffte, daß Wolf von seinem geheimnisvollen Treffen wieder zurück war. Wenn nicht, würde ich zuerst in die Chérie-Bar fahren und dann wieder hierher. Irgendwann mußte er ja nach Hause kommen.
Niemand war auf der Straße, als ich den Eingang von Wolfs Haus erreichte. Auch kein Auto. Die Ampeln wechselten sinnlos Grün, Gelb und Rot. Die Farben spiegelten sich im nassen Asphalt. Es regnete nicht mehr.
Wie bei meinem ersten Besuch war die Haustür zur Straße hin nur angelehnt. Ich erklomm die Stufen zum ersten Stock. Dort wurde ich trotz der nächtlichen Stunde bereits von der dicken Frau Müller erwartet. Sie hatte ihren beleibten Körper auf die Etagenbrüstung gebettet und glotzte mich böse an. »Aha, wußte ich’s doch. Sie also.«
Ich kümmerte mich nicht um sie und betätigte Wolfs Klingel.
»Was machen Sie da?« fragte Frau Müller hinter mir. »Sie wissen genau, daß da auf ist.«
Verdammt, dachte ich. Kann die nicht einfach wieder in ihre Wohnung gehen? Was macht die überhaupt hier? Dann sah ich, was sie meinte. Die Wohnungstür war nur angelehnt. Dort, wo sich normalerweise der Türknauf befand, war ein Loch.
»Haben Sie was damit zu tun?« keifte Frau Müller. »He! Antworten Sie.«
Wie sich die Bilder glichen! Eine zerstörte Wohnung - wie bei mir. Ich drückte gegen die Tür und ging hinein.
»Hier stimmt doch was nicht«, stellte Frau Müller fest. »Die ganze Nacht dieser Krach. Da stecken Sie doch auch mit drin, oder nicht? Sie! Hören Sie mir überhaupt zu? Jetzt reicht’s. Jetzt hole ich die Polizei.« Sie kehrte in ihre Wohnung zurück. Ich mußte mich beeilen.
Die Bücher aus den Regalen waren auf den Boden geworfen worden und bildeten einen meterhohen Berg, den man erklimmen mußte, wollte man überhaupt durch die Wohnung kommen. Regale lagen umgekippt am Boden. Ebenso der Schreibtisch mitsamt dem alten PC.
Mich durchlief ein Schauer von Klaustrophobie. Ich unterdrückte das Gefühl und stieg weiter über den
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