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Die Tote von Harvard

Die Tote von Harvard

Titel: Die Tote von Harvard Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amanda Cross
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Dozentinnen, Verwaltungsangestellten – scheinen der Meinung zu sein, ich müßte mich unentwegt für Frauen stark machen: für die feministische Wissenschaft, die Probleme von Frauen in Harvard, die Examensbedingungen der Studentinnen, für Radcliffe – als gäbe es nur ein Geschlecht auf der Welt! Warum sollte ich mich für das weibliche mehr interessieren als für das männliche? Das einzige, was mich interessiert, sind Wissenschaftler, die sich mit dem siebzehnten Jahrhundert beschäftigen, und welchen Geschlechts die sind, ist völlig irrelevant. Die geschälten Krabben sind sehr gut, zwar nicht frisch gefangen, aber gut. Ich hab sie schon probiert.«
    »Janet, als du den Ruf nach Harvard bekamst, muß dir doch klar gewesen sein, daß dein Geschlecht dabei keineswegs irrelevant war.
    Es gab auch in der Vergangenheit Frauen, die so hochqualifiziert waren wie du – aber bisher hat noch keine einen Lehrstuhl in Harvard bekommen, du bist die erste.«
    »Ist dir der Zemurray-Stone-Lehrstuhl ein Begriff?«
    Kate nickte. »Nun, von diesen Frauen erwartete man, daß sie ihre Arbeit taten und sonst nichts. Man berief sie als das, was sie waren –
    Historikerinnen, Anthropologinnen oder was sonst.«
    »Das war zu einer anderen Zeit.«
    Janet zerpflückte ein Brötchen. »Ich denke nicht daran, statt Ob-mann ›Obperson‹ zu sagen. Das hört sich entsetzlich an. Und ich werde auch nicht jeden Satz mit diesem ihm/ihr, er/sie, man/frau verstümmeln. Ich bin davon überzeugt, daß jede Frau, die sich qualifiziert und bereit ist, den Preis dafür zu zahlen, Karriere machen kann. Egal wo. Ich hab es geschafft, und du hast es geschafft.«
    Endlich hatte sie es ausgesprochen. Sie hatte es nötig, verzweifelt nötig, zu glauben, daß der Zeitgeist bei ihrer Berufung nach Harvard keine Rolle gespielt hatte: Man hatte ihr die Professur gegeben, weil sie sie verdiente. Punkt. Kate wollte etwas sagen. Sie spürte die tiefe Bedrängnis dieser Frau und wußte, daß jede Form von Unterhaltung ihr helfen würde. Aber während Kate noch nach einem unverfängli-chen Thema suchte, brach Janet in lautes Schluchzen aus und würde offensichtlich so schnell nicht wieder aufhören. Janet schneuzte sich in die Serviette, und die Tränen fielen auf die Pastete. Kate winkte dem Kellner, zog eine Kreditkarte heraus, erklärte, ihrer Freundin sei 41

    schlecht geworden, und bemerkenswert kurze Zeit später ging sie neben Janet Mandelbaum die Mount Auburn Street hinunter. Der Abend war kalt, und Janet schniefte in die Serviette, die sie mitgenommen hatte. Kate schoß die Frage durch den Kopf, ob Janet wohl daran denken würde, sie zurückzubringen, und sie erkannte daran wieder einmal, wie sehr sie noch altmodischen Werten verhaftet war.
    »Du«, hatte eine junge Feministin einmal zu ihr gesagt, »kommst mir vor wie von einem fremden Stern, wie von einer andern Welt.« In der Servietten zurückgebracht werden, dachte Kate. Ich brauch einen Drink.
    In der Wohnung in der Mount Auburn Street angekommen (wo Kate jetzt bei Sylvia logierte, die offenkundig in ihrer dringenden Angelegenheit unterwegs war), stellte es sich als wesentlich leichter heraus, einen Drink zu beschaffen, als Janet zu beruhigen. Kate über-ließ sie ihrem allmählich versiegenden Tränenstrom, machte sich auf die Suche nach etwas Eßbarem und kehrte mit Crackern und Käse zurück. Sie bezweifelte, daß Janet der Sinn danach stand, aber Kate hatte schon immer den Standpunkt vertreten, Alkohol müsse auf etwas Festes im Magen treffen. Außerdem war sie hungrig.
    Es würde offenbar ein langer Abend werden. Und bestimmt wür-de sich die Geschichte zum Schluß als Windei herausstellen. (Wo kam dieser Ausdruck nun wieder her? Kate hatte das von Eric Partridge zusammengestellte Lexikon der Klischees erstanden, das allerdings die Unart hatte zu erklären, was das jeweilige Klischee bedeutete, was Kate ohnehin wußte, aber nicht, wie es entstanden war, was Kate gern gewußt hätte. Sie mußte sich einen Ruck geben, ihre Gedanken wieder auf Harvard zu lenken.) Das Appartement, in dem sie saßen, hatte bis zur Decke reichende Fenster mit Blick auf den Fluß. Wie Kate bald feststellen sollte, praktizierten hier die Steuermänner von Harvards Rudermannschaften – und davon gab es viele – jeden Tag in aller Herrgottsfrühe mit großer Hingabe und Lautstärke ihr »Eins, zwei«-Geschrei, was sie ihrem Ziel vielleicht näher brachte, alle Anwohner aber um den Schlummer. Trotzdem, der Blick

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