Die Tote von Harvard
Beziehungen zu Washington und Harvard solltest du es als erste versuchen. Wenn du scheiterst, probiere ich es über Reed.
Aber wenn du scheiterst, dann kann man daran wahnsinnig viel ablesen.«
»Wahnsinnig. Ich verstehe.«
»Wenn es Kräfte in Harvard gibt, die es für nötig halten, dir die Einsicht in die Polizeiprotokolle zu verwehren, dann sagt uns das mehr als jeder Polizeibericht.«
»Schlaues Mädchen. Morgen setze ich mich ans Telefon. Nein, ich telefoniere gleich. Übrigens, morgen kommt George. Hab ich es dir schon gesagt, oder sollte ich es in all dem Trubel vergessen haben?«
»Das hast du allerdings. Verdammt – zurück in die Besenkammer im Dunster! Man hat mir zu verstehen gegeben, daß ich großes 76
Glück hatte, sie überhaupt zu bekommen. Du mußt dich wirklich ins Zeug gelegt haben. Am schrecklichsten ist das Essen dort. Aber was hilft’s? Also zurück in den Speisesaal und wieder Konversation mit den Studenten machen. Da fällt mir ein, ich könnte doch Leighton einladen. Ich hab sie direkt ins Herz geschlossen, meine Nichte Leighton.«
»Womit du natürlich sagen willst, daß sie eine heftige Anti-Fansler-Phase durchläuft. Na, hoffentlich ist’s von Dauer.«
»Bestimmt. Leighton ist ein vielversprechendes Mädchen. Bist du froh, daß George kommt?«
»Verdammt froh«, sagte Sylvia. »Ich verstehe nicht, wie man das ständige Zusammensein je als Eheideal preisen konnte. Eine Weile getrennt, eine Weile zusammen, das ist viel besser. Ich schicke dir jeden Polizeibericht, den ich bekomme, rüber ins Dunster. Damit du nicht so viel ans Essen denkst.«
77
Sieben
Ich würde es hassen, mit einer literarisch gebildeten Tante zusammenzuleben.
Stevie Smith ›Novel on Yellow Paper‹
Am nächsten Tag rief Kate von ihrem Zimmer im Dunster aus Andy Sladovski an, um zu hören, wie die Anglisten auf Janets Tod reagiert hatten.
»Keine Ahnung«, sagte Andy. »Kommen Sie doch heute abend mit zu den Harvard-Jamben, den Lesungen über Poesie, dann werden Sie ja selbst sehen. Bei dieser Veranstaltung müssen Sie sowieso gewesen sein, sonst dürfen Sie nie behaupten, Harvard zu kennen.«
»Bisher hat mich noch niemand dazu eingeladen.«
»Dann lade ich Sie jetzt ein. Irgendein fulminant langweiliger Student, einer von Clarkvilles Schmusetieren, wird ein Referat über Brownings ›Fra Lippo Lippi‹ halten, und eins kann ich Ihnen jetzt schon versprechen: nicht zu gähnen wird Sie all Ihre Kraft kosten.
Aber nachher gibt es zu essen und zu trinken; da können Sie die Leute ein bißchen beschnuppern. Außerdem interessiert Browning Sie doch bestimmt. Wenn ich mich recht erinnere, gehört er in Ihre Epoche.«
»Ich erfülle alle Anforderungen für die Aufnahme in den erlauchten Kreis – nur eingeladen hat man mich nicht.«
»Nur wirklich berühmte Gastdozenten erhalten eine offizielle Einladung. Meistens bringt einer der Männer seine Frau mit. Wenn ich wollte, könnte ich also auch Lizzy mitnehmen. Lizzy käme aber nur mit, wenn ›Das Goldene Notizbuch‹ besprochen würde, was aus mindestens drei schwerwiegenden Gründen sehr unwahrscheinlich ist, und nur einer davon hat damit zu tun, daß Doris Lessing nicht in Reimen schreibt. Kommen Sie mit, und die anderen werden denken, Sie sind Lizzy.«
»Also gut«, sagte Kate. »Ich gebe mich geschlagen. Es stört hoffentlich niemanden, daß meine Auffassung von Browning der offi-ziellen Lehrmeinung nicht entspricht.«
»Das hört sich erfrischend an! Wir treffen uns im Adams-Haus.
Wissen Sie, wo es ist?«
»Ich weiß, wo ich eine Karte finde. Wieso im Adams-Haus?«
»Weil Howard Falkland dort Tutor ist. Derjenige, der das Referat 78
hält, spielt den Gastgeber.«
»Aha, aha«, sagte Kate, die der Name des Referenten aufgeschreckt hatte. »Ich finde die Idee wunderbar. Alle Energien, die einen das Zuhören kostet, kann man sich beim Essen wieder holen.«
»Also um acht«, sagte Andy und legte auf. Nun, sagte Kate zu sich selbst, Fra Lippo Lippi behauptet: »Gott hilft uns, einander zu helfen, indem wir einander unsere Seelen öffnen.« Browning dachte dabei an die Kunst, ich dagegen denke an Mord.
Um fünf vor acht betrat Kate das Dozentenzimmer im Adams-Haus und setzte sich in einen der im Kreis aufgestellten Ledersessel.
Porträts von Honoratioren blickten finster von den Wänden herab.
Als Andy sich wenig später zu ihr setzte, war klar, daß nicht mehr als elf Personen zusammenkommen würden; außer Kate war noch eine Frau
Weitere Kostenlose Bücher