Die Tote von Harvard
Cunningham.
»Natürlich nicht«, sagte Moon. »Warum zum Teufel hätte ich sie mitnehmen sollen? Schon gut, schon gut – ich weiß, eine ziemlich alberne Frage. Schließlich stehe ich unter Mordverdacht.«
»Und Sie hatten keine Ahnung, daß Ihre Ex-Frau, Janet, in Harvard sein würde?«
»Keine. Ich weiß, das ist ein heikler Punkt, aber es stimmt. Janet hat es mir sofort geglaubt. Und wie ich Kate schon sagte: Selbst wenn jemandem aufgefallen wäre, daß es zwei neue Professoren mit dem gleichen Nachnamen in Harvard gab – wer wundert sich in der Gegend um Boston schon über zwei Mandelbaums?«
»In Wirklichkeit«, sagte Cunningham, »gibt es nur ein halbes Dutzend Mandelbaums im Telefonbuch von Boston. Schlagen Sie selbst nach. Conollys und Kellys dagegen gibt es seitenweise. Sie haben die ethnischen Gruppen ein wenig durcheinandergebracht.«
»Janet jedenfalls wußte nicht, daß ich kommen würde, und ich wußte nicht, daß sie hier war. Wir haben uns dort nur ein einziges Mal getroffen.«
»Haben Sie sich unterhalten?«
»Kurz und förmlich.«
»Erinnern Sie sich noch an irgendeinen Satz von ihr?« fragte Cunningham.
»Ja. Abgesehen von den üblichen nichtssagenden Floskeln meinte sie: ›Ist doch komisch, Moon. Als wir Examen machten, war ich 96
der Star, und du mimtest den Revolutionär. Danach schrieb ich ein wichtiges Buch, und du spieltest Gitarre. Und trotzdem paßt du besser hierher als ich. Ist das nicht komisch?‹«
»Was haben Sie ihr geantwortet?« fragte Cunningham.
»Ich sagte, vielleicht könnten die Leute hier einfach mit Männern eher etwas anfangen, leichter auf sie zugehen. Aber ich hätte keineswegs das Gefühl, daß ich gut hierher passe, wohingegen sie doch schon immer genau die Ideale hochgehalten hätte, die hier in Harvard gelten. Ich gab mir Mühe, es freundlich zu sagen.«
»Und was sagte sie?« Cunninghams schnelle Fragen erinnerten Kate, wohl nicht zu Unrecht, an ein Kreuzverhör.
»Sie sagte, sie hätte auch gedacht, daß sie dieselben Ideale hätte.
Sie klang bitter. Dann trennten wir uns. Begegnet waren wir uns bei einer Dinnerparty zu Ehren von Eudora Welty, die aus ihren Büchern vorgelesen hatte. Normalerweise hasse ich solche Veranstaltungen, und ich bin nur hingegangen, weil ich Eudora Weltys Werk sehr bewundere.«
»Mr. Mandelbaum. Wie wär’s, wenn wir, nur für den Augenblick, Ihr Vergnügen an Dichtung, Dramen und Eudora Welty beiseite lassen und Sie mir statt dessen sagen, warum Sie eigentlich nicht so überrascht waren, Kate in Harvard zu sehen? Hatte sie Ihnen ihr Kommen angekündigt?«
»Nein. Sie wußte nicht, daß ich hier war.«
»Nein, ich hatte keine Ahnung«, sagte Kate, als Cunningham sie ansah. »Eines Tages, kurz nach dem Abend, als Janet bei mir hysterisch geworden war, tauchte er in meinem Arbeitszimmer im Institut auf. Und das war der erfreulichste Anblick, den mir Harvard bis dahin zu bieten hatte.«
»Woher wußten Sie, daß Kate da war?« fragte Cunningham Moon.
»Ich hatte es in der ›Gazette‹ gelesen, das habe ich Kate gesagt.
Aber ich wußte es schon vorher. Um die Wahrheit zu sagen: In gewisser Weise hatte ich es arrangiert.«
»Arrangiert!« rief Kate aus.
»Kate, meine Liebe«, sagte Cunningham säuerlich, »wenn du nicht dauernd auf diese charmante mädchenhafte Art auf juchzen und jede Silbe nachplappern würdest, die Mr. Mandelbaum von sich gibt, dann bestünde vielleicht die Möglichkeit, daß wir ein paar Fakten auf die Reihe bekommen, ehe die Dunkelheit über uns herein-bricht. Was haben Sie arrangiert, Mr. Mandelbaum?«
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Moon seufzte. »Du wirst es mir nie verzeihen«, sagte er zu Kate.
»Am Anfang ergab sich alles rein zufällig. Wirklich ganz zufällig.
Ich kannte eine Frau aus den Tagen der Friedensbewegung. Sie wollte nach New York, ihren Bruder besuchen. Nun, eines Tages traf ich sie am Central Square, und wir schwatzten ein bißchen. Sie wohnte in einer Kommune, von der ich schon gehört hatte, und sie erzählte mir von diesem Zwischenfall in Harvard und daß eine ihrer Freundinnen, die ich auch von früher kannte, darin verwickelt sei. Sie habe Janet aus der Badewanne gefischt. Jedenfalls kam schließlich heraus, daß Janet dieser Frau gegenüber Kate erwähnt hatte. Und die erzähl-te der Frau davon, die ihren Bruder in New York besuchen wollte.
Na, und ich hab ihr dann zugeredet, zu Kate zu gehen und sie zu überreden, nach Harvard zu kommen und Janet und allen anderen unter die Arme zu
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