Die Tote von Harvard
Mordverdacht stehenden akademischen Freunde zu stellen. Wenn ich recht verstehe, war Kate aber nicht der Grund, weshalb Sie nach Harvard kamen, wohingegen Janet sehr wohl…
unterbrechen Sie mich nicht, wir müssen die Dinge so betrachten, wie die Polizei das tut. Nun, wahrscheinlich waren Sie ebenso überrascht wie ich, als Sie erfuhren, daß Kate in Harvard ist.«
»Nein«, sagte Moon, »eigentlich nicht.«
»Was in Gottes Namen soll denn das nun wieder heißen? Ich möchte die ganze Geschichte hören, Mr. Mandelbaum. Alles, schön der Reihe nach und sofort. Sofort!«
»Ich auch«, sagte Kate.
»Du bist still«, sagte Cunningham. »Kate, dir muß doch klar sein, daß die Staatsanwaltschaft ihn verurteilen will, falls es zur Verhandlung kommt. Wir müssen dafür sorgen, daß die Polizei nicht genug Beweise hat. Und wie es im Augenblick aussieht, hatte die Polizei verdammt stichhaltige Beweise. Außerdem hat sie eine Menge Geld
– dein Geld. Also, halt bitte deinen Mund.«
»Gut, ich gebe mir Mühe. Aber wenn mir eine wirklich schlaue Frage einfällt, kann ich sie doch stellen?«
»In Gottes Namen, ja. Aber jetzt halt uns nicht auf. Nun, Mr.
Mandelbaum?«
»Mir wäre lieber, Sie würden Moon zu mir sagen. Jeder nennt mich so.«
»Ich bin aber nicht jeder, sondern ein außerordentlich teurer Strafverteidiger. Haben Sie promoviert? Ich nenne Sie Dr. Mandelbaum.«
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»Mr. reicht völlig«, sagte Moon.
»Aber Sie haben promoviert?«
»Ja, hab ich.«
»Dann sind Sie gar Professor? Einer, der so tut, als war er keiner?
Ein Phantasiegebilde?«
»Mein Leben ist voller Phantasien, aber nicht, was meine Promo-tion betrifft. Ich habe promoviert. Kate kann es bezeugen. Und ich lehre an einer Universität, und zwar der von Minneapolis, wo ich Studenten guten Schreibstil beibringe.«
»Ich wünschte bei Gott, dort wären Sie geblieben.«
»Ich nicht. Trotz allem, ich wünschte es nicht.«
»Ich schlage vor, wir kehren zu der Frage von Gelegenheit und Mittel, Frau Professor Mandelbaum zu ermorden, zurück. Es sei denn, Sie möchten noch eine Weile über die Naturschönheiten Harvards plaudern.«
»Die Mittel hatte ich«, sagte Moon. »Zumindest hätte ich sie haben können.«
»Was soll das heißen – du hattest die Mittel?«
»Kate, halt den Mund.«
»Ja, Sir.«
»Das soll heißen«, sagte Moon, »daß ich, wie man so schön sagt, problemlosen Zugang zu Zyankali hatte. Als ich in der Armee war, im Zweiten Weltkrieg. Auf den Philippinen. Ich hatte sogar mehr als Zugang, wenn Sie die ganze Wahrheit wissen wollen… ich weiß, ich weiß, das wollen Sie! Wissen Sie, Sie sollten sich ein wenig ent-spannen. Versuchen Sie einfach, ein bißchen milder zu sein.«
»Ich bin aber nicht milde!« schrie Cunningham, wie Kate fand, unnötig laut. »Und ich wußte gar nicht, daß man in Minneapolis so furchtbar milde miteinander umgeht.«
»Tut mir leid«, sagte Moon. »Nach dem Krieg war es nicht schwer, das, was man hatte, einfach zu behalten. Soldaten stauben immer was ab, aus den eigenen Beständen oder denen des Feindes.
Jedenfalls – ich hatte ein bißchen zu viel gesehen und wollte die Möglichkeit haben, Schluß zu machen, falls die Erinnerungen zu schlimm würden.«
»Wurde das Zeug an Sie ausgeteilt?«
»O ja. Wir waren an vorderster Front, und jeder wußte, was ihm blühte, wenn er dem Feind in die Hände fiel. Aber auch, wenn man das Zeug nicht in die Hand gedrückt bekam, jeder, der wollte, konnte es sich beschaffen. Und ich hatte es, ich kann es nicht leugnen, daß 95
ich es hatte.«
»Wer wußte davon?«
»Das ist der springende Punkt, das ist mir völlig klar. Nachdem ich entlassen wurde, in der ersten Zeit, als ich wieder zu Hause war, wußten vielleicht ein paar Leute davon. Aber in all den Jahren danach – ich glaube kaum, daß jemand auch nur eine Ahnung hatte.
Um die Wahrheit zu sagen: Ich schätze, daß überhaupt nie jemand davon wußte. Aber ich kann nicht beschwören, was ich damals, als ich aus dem Krieg kam, erzählt habe und was nicht.«
»Sie gingen dann wieder zur Universität?«
»Ja. Aber das war eine ganze Weile später. Nachdem ich mich wieder gefangen hatte. Ich wollte Theaterwissenschaft studieren –
Dramen und Tragödien. Das schien mir passend. Dort traf ich Kate.«
»Das dachte ich mir. Kate, wußtest du, daß er Zyankali besaß?«
»Nein. Bis zu diesem Augenblick hatte ich keine Ahnung.«
»Haben Sie die Kapseln mit nach Harvard genommen?« fragte
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