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Die Tote von Harvard

Die Tote von Harvard

Titel: Die Tote von Harvard Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amanda Cross
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höchstwahrscheinlich im Warren-Haus gestorben ist. Clarkville fand ihre Leiche früh am Morgen. Und der Bursche von der Detektei sagte zu mir: ›Versuchen Sie mal, um die Zeit eine Leiche von irgendwo anders dorthin zu schaffen. Sie müßten sie in ein Auto laden, durch die Straßen fahren, vor dem Eingang an der Quincy Street oder Prescott Street parken und die Leiche dann zu Fuß über den Campus tragen oder schleifen.
    Unmöglich‹. Jedenfalls schwört er, daß es so nicht gewesen sein kann. Was heißt, daß Janet Mandelbaum ins Warren-Haus ging und dort starb. Das bringt uns natürlich auch nicht viel weiter«, fügte Cunningham hinzu, »da es unzählige Leute gibt, die Schlüssel haben.
    Aber mutmaßen kann man einiges Kate, sehr viel sogar.«
    »Sieht schlecht aus für die anglistische Fakultät.«
    »Das hast du gesagt, nicht ich«, schloß Cunningham.
    Wieder rief Kate von der Telefonzelle im Foyer aus an. Clarkville war in seinem Büro. Er hatte gerade eine Fachbereichssitzung hinter sich gebracht. Ja, er würde sich freuen, Kate zu sehen und im alten Salon des Warren-Hauses auf sie warten. Als Kate einige Zeit später aus der U-Bahn-Station am Harvard Square kam und in Richtung Warren-Haus ging, mußte sie an die beiden Mädchen denken, die die Nacht auf der Vordertreppe zugebracht hatten. Vielleicht waren die beiden ja wirklich ein bißchen zickig, aber die Stille von Ziegen war für die Umwelt schließlich eine geringere Zumutung als das Gebrüll von Jungstieren. Den Spruch muß ich demnächst bei Leighton anbringen, dachte Kate, als sie das Warren-Haus betrat und die Treppen hinaufstieg.
    Zum ersten Mal erlebte Kate Clarkville in seiner Normalform –
    nicht als den aufgeregten Mann, der gerade eine Leiche gefunden hatte, nicht als das schlafende Walroß bei einem literarischen Kreis und auch nicht als den vermeintlich brillanten Redner über den vik-torianischen Roman, sondern als einen großgewachsenen Mann, der Entschlossenheit und – nicht zu verleugnen – auch Charme aus-strahlte. Kates Erstaunen über Clarkvilles durchaus menschliche Züge war nicht verwunderlich – ein solcher Schock ist wohl unvermeidlich, wenn jemand zuvor hauptsächlich als Phantom in der eige-134

    nen Vorstellung existiert hat.
    »Eine schreckliche Angelegenheit«, sagte Clarkville. »Wirklich schrecklich. Haben Sie bei Ihren Nachforschungen irgendwelche Fortschritte gemacht?«
    »Einen kleinen, ja«, sagte Kate. »Ich hoffe, meine Rolle bei all dem stört Sie nicht allzusehr. Aber da die Polizei jemanden verhaftete, von dem ich ziemlich sicher bin, daß er nicht der Täter ist, konnte ich nicht untätig zusehen.«
    »Schließlich habe ich Sie an dem Morgen angerufen, als ich ihre Leiche fand«, antwortete Clarkville. »Da finde ich es nur natürlich, daß Sie Anteil an der Sache nehmen.«
    »Und da es außerdem so ist«, sagte Kate, »daß Janet Mandelbaums Tod sehr viel über die Lage von Professorinnen an unseren Universitäten ganz allgemein aussagt, ist es vielleicht auch nicht abwegig, wenn ich als Professorin gern wissen möchte, was hier wirklich geschah. Ich habe das Gefühl, Professor Clarkville, daß Sie Professorinnen nicht mögen. Stimmt das? Denken Sie jetzt bitte nicht, ich wollte damit sagen, daß Sie deshalb gleich eine umbringen würden. Für so töricht halten Sie mich hoffentlich nicht. Aber trotzdem, vielleicht können Sie mir einfach sagen, was Ihre Einwände gegen lehrende Frauen in Harvard sind.«
    »Ich fürchte, meine Abneigung gegen Professorinnen wird maß-
    los übertrieben«, sagte Clarkville. »Eins gebe ich allerdings ganz offen zu: Ich wäre glücklicher gewesen, wenn uns das – verzeihen Sie mir – ganze schreckliche Theater um den Frauenlehrstuhl erspart geblieben wäre. Aber es gibt viele Leute, denen das Ganze weit mehr zu schaffen machte als mir. Nun, und da wir uns schon eine Frau aufladen mußten, wollten wir zumindest keine haben, die unseren Fachbereich mit diesen modischen Semantik- und Dekonstruktivis-musseminaren überflutet. Deshalb entschieden wir uns für eine, die sich auf das siebzehnte Jahrhundert spezialisiert hatte, und ich habe Janet Mandelbaum von Anfang an für die beste Expertin gehalten, die wir hätten bekommen können. Wenn ich ehrlich sein soll, so hat mich der ganze Aufruhr eher amüsiert als erschreckt. Hätte ich die Wahl gehabt, wäre es mir natürlich lieber gewesen, keine Frau an unseren Fachbereich zu holen. Es konnte ja nur Probleme schaffen, das

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