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Die Tote

Die Tote

Titel: Die Tote Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion
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Fall gefiel ihm das, und er wedelte sie lächelnd hinaus. Als Charlotte seine Bürotür schloss, fragte sie sich, warum sie all die Jahre so schlecht mit ihm ausgekommen war. Dabei war alles ganz einfach. Wieso war sie da nicht früher draufgekommen?
    Bremer erwartete sie mit laufendem Motor auf dem Parkplatz vor der Direktion, und wenige Minuten später waren die beiden in seinem Opel Astra auf dem Weg nach Ricklingen. Charlotte trommelte ungeduldig mit den Fingern auf ihrem Knie herum, denn Bremer gurkte mit exakt fünfzig den Ricklinger Stadtweg hinunter.
    »Meine Güte, sechzig kannst du schon fahren, oder?«
    »Nein«, Bremer widersprach energisch, »ich hab schon acht Punkte. Diese Heinis von der Verkehrspolizei sind so was von unflexibel, das glaubst du nicht.«
    »Doch, glaub ich«, knurrte Charlotte, die in der Flensburger Datei selbst keine Unbekannte war.
    »Jetzt fahr ich jedenfalls genau nach Vorschrift, bis ich wieder bei null bin.«
    »Oh Mann«, stöhnte Charlotte, »und wie lange soll das dauern?«
    »Ein Jahr und zehn Monate«, sagte Bremer triumphierend.
    »Na klasse.« Charlotte schloss die Augen und entschied, sich in Geduld zu üben.
    Sie parkten an der Bebelstraße und gingen zu Fuß zu der Adresse des Rentners Heinrich Wöhler. Er wohnte im Erdgeschoss eines der dreistöckigen Häuser und öffnete ihnen kaum zwei Sekunden, nachdem sie geklingelt hatten.
    Vor ihnen stand ein Hundertjähriger. Jedenfalls hätte Charlotte einen Tausender darauf verwettet, dass sein Alter aus drei Ziffern bestand. Er trug eine dunkelgrüne Hose, deren Bund fast unter den Achseln klemmte, und ein graues Flanellhemd. Klein, dürr und drahtig, mit einem osteoporotischen Buckel, stand er in der Tür und strahlte Charlotte an. Er sah aus wie ein verschrumpelter Pfirsich, nur fröhlicher.
    »Komm Se, komm Se«, schmurgelte er und winkte die beiden Beamten herein.
    Dabei tippelte er mit kleinen, flinken Schritten vor ihnen her durch einen Flur mit geometrisch gemusterten Tapeten aus den Siebzigern und symmetrisch angeordneten Türen – als hätte der Architekt die Abstände mit dem Zollstock gemessen. Sie nahmen die am Kopfende und betraten eine Küche, die so klein war, dass Bremer und Charlotte sich kaum umdrehen konnten, als der alte Mann es sich anders überlegte, die beiden wieder auf den Flur schob, sich an ihnen vorbeidrängte und die Tür an der rechten Flanke des Flurs öffnete, die in einen Raum führte, der wohl als Wohn- und Esszimmer diente.
    Neben einem riesigen dunklen Eichenschrank und einer Art Sofa, das aus zwei übereinanderliegenden Matratzen bestand, gab es nur eine Bierzeltgarnitur, die unter einem vorhanglosen Fenster stand. Wenigstens war der Raum hell, allerdings hatte das Weiß der Raufasertapete wohl schon bessere Tage gesehen.
    Charlotte setzte sich kurzerhand auf die Holzbank, und Bremer folgte ihr zögernd.
    »Jau, setzen Se sich, setzen Se sich«, sagte Wöhler mit heiserer Stimme, klopfte Bremer dabei wohlwollend auf die Schulter und setzte sich den beiden gegenüber.
    Charlotte konnte sich nicht vorstellen, dass der alte Mann es länger als zehn Minuten auf dieser Bank aushalten würde. Sie sollten sich beeilen.
    »Herr Wöhler«, begann sie und schob dabei eine vergilbte Ausgabe der Neuen Presse zur Seite, »Sie sagen, dass Sie diese junge Frau in der Nacht von Sonntag auf Montag gesehen haben.« Sie legte ihm das Foto hin.
    Wöhler schob seine Brille hoch und nahm das Bild in die Hand.
    »Jau«, krächzte er dann und nickte bestimmt, »ich glaub, so hat se ausgesehen. Aber se war ja so komisch angezogen, deswegen isse mir überhaupt nur aufgefallen.«
    »Wo haben Sie die Frau gesehen?«
    »Na draußen, se kam übern Platz gelaufen, barfuß war se, und so’n komisches Tuch hatte se um.«
    »Haben Sie gesehen, wohin sie gelaufen ist?«
    »Ja klar doch, wollte wohl zur Haltestelle, aber ob se irgendwo eingestiegen is, weiß ich nich. Musste schnell wieder rein. Is manchmal ’n bisschen eilig mit der Blase, wissen Se. Aber … jetzt sagen Se mal«, er ruckte mit seinem dürren Hals nach vorn wie ein pickendes Huhn, »was is denn mit dem Mädchen passiert? Isse ermordet worden?«
    »Nein, nein«, sagte Charlotte, »wir haben sie nur noch nicht identifiziert.«
    Wöhler nickte zwar, aber Charlotte war nicht sicher, ob der alte Mann sie tatsächlich verstanden hatte.
    »So, so, dann vermisst se wohl keiner, was?«, fragte der Pfirsich und belehrte Charlotte damit eines Besseren. Der Mann

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