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Die Tote

Die Tote

Titel: Die Tote Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion
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der Stadionbrücke, die über die Ihme führte, einen Nebenfluss der Leine, und stellten den Wagen ab. Am Ihmeufer, direkt unter der Brücke, war die Tasche mit der Leiche gefunden worden. Die Joggerin, eine knapp dreißigjährige Frau, die sich gerade im Mutterschaftsurlaub befand, hatte einen Nervenzusammenbruch erlitten und war in die Notaufnahme ins Siloah-Krankenhaus gebracht worden. Ihr Mann, Kundenberater bei der Deutschen Bank, war bereits auf dem Weg dahin.
    Es war eine Schande, dachte Charlotte. Die Ihme floss träge in ihrem grün gesäumten Bett, Radfahrer, Spaziergänger, Walker und Jogger, die hier in dieser ländlichen Oase mitten in der Stadt gewöhnlich eine Auszeit nahmen von der Hektik und dem Verkehr der Großstadt, wurden jetzt von dem rot-weißen Polizeiband ausgesperrt. Sie versammelten sich auf der Brücke und starrten in schockiertem Schweigen auf die Szenerie unter ihnen. Ein totes Baby hatte man gefunden. Ein Neugeborenes. So viel war bereits durchgesickert.
    Charlotte, blass und wortkarg, fühlte sich erbärmlich, auch Dr.   Wedel, der gleichzeitig mit ihr eingetroffen war, machte ausnahmsweise keine Witze. Selbst ihm war angesichts dieses Häufleins, das einmal ein Kind, ein Teenager, ein Erwachsener hätte werden können, sein Sarkasmus abhandengekommen.
    Es war eine dunkelblaue zerfledderte, schmutzstarrende Reisetasche aus dünnem Nylon, die aus dem mannshohen Gestrüpp am Ufer auf den Weg gezerrt worden war. Sie sah so schäbig aus, als hätte sie jemand aus einem Mülleimer gefischt, wahrscheinlich, um ihre Herkunft zu verschleiern. Der Reißverschluss war offen oder kaputt, das konnte und wollte Charlotte nicht sehen. Sie sah nur die puppenähnliche kleine Hand an dem winzigen Ärmchen, das aus diesem schmierigen Beutel heraushing. Sah Männer in weißen Plastikanzügen um dieses unschuldigste und wehrloseste aller Opfer herumschwirren. Sie hörte das Klicken der Fotoapparate, den Verkehr, der unbeeindruckt von dieser Tragödie über die Stadionbrücke brauste, gerade so, als müsste die Welt nicht stehen bleiben angesichts dessen, was Menschen anrichteten.
    Eine Windböe fegte über die Wipfel der hohen Linden, und der Gesang der Blätter machte Charlotte wütend. Es war die reinste Heuchelei!
    Von irgendwoher hörte sie ihren Namen und wandte sich suchend um. Kramer kam mit hängenden Mundwinkeln auf sie zu.
    »Wenn ich den in die Finger kriege …«, sagte er und brauchte den Satz nicht zu beenden, Charlotte konnte sich vorstellen, was er sagen wollte. »Die Frau war mit ihrem Hund unterwegs. Wenn der die Tasche nicht aus dem Gestrüpp gezerrt hätte, dann wäre sie bestimmt bis zum Winter unentdeckt geblieben. Arme Frau«, fügte er leise hinzu, »steht total unter Schock. Hat selbst so ein Würmchen zu Hause. Ist gerade im Mutterschutz. Und dann so was.«
    »Irgendwelche Spuren?«, fragte Charlotte schroffer als beabsichtigt. Sie wollte das Thema nicht vertiefen.
    »Ich bin mir nicht sicher«, antwortete Kramer ebenso schroff. »Aber ich könnte mir vorstellen, dass der oder diejenige ursprünglich die Absicht hatte, die Tasche in der Ihme zu versenken. Es liegen nämlich mehrere Steine drin.« Er deutete mit dem Finger auf die Brücke. »Hat sie einfach über das Geländer geworfen. Wahrscheinlich nachts, wenn hier wenig los ist.«
    »Und warum hat er sie dann nicht ins Wasser geworfen?«
    Kramer zuckte mit den Schultern. »Frag mich was Leichteres. Wenn’s richtig dunkel ist, kann man vielleicht nicht genau sehen, wo Wasser ist, und wo das Ufer anfängt. Könnte mir aber auch vorstellen, dass manche Leute beim Entsorgen von Babyleichen die Nerven verlieren und sie einfach bloß loswerden wollen.«
    Charlotte nickte stumm und wischte mit dem Fuß über das Gras, als suche sie etwas. Kramer wartete.
    »Äh, können wir die … das Kind dann jetzt wegbringen? Wir sind so weit fertig.«
    »Macht, was ihr wollt«, flüsterte Charlotte und musterte die Meute der Schaulustigen, die auf der Stadionbrücke standen und heute Abend eine Menge zu erzählen haben würden.
    Kramer musterte sie. »Alles in Ordnung?«, fragte er.
    »Nein, verdammt. Nichts ist in Ordnung«, zischte sie zurück und ließ ihn einfach stehen.
    Zu der Besprechung nach dem Mittagessen – Charlotte hatte sich Bremer, der zum »Bratwurstglöckle« gegangen war, nicht angeschlossen, ihr war der Appetit vergangen – fand sich auch ein äußerst zufriedener Ostermann ein. Er lockerte seinen Schlips und –

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