Die Tote
ihn aber gar nicht wahrzunehmen, denn die eine schluchzte zum Steinerweichen, während die andere die Hände rang und sich neben die Schluchzende auf die Sessellehne setzte. Bergheim griff zu den Erdnüssen und sah aus, als würde er den Aufenthalt in einer der Zellen der Polizeidirektion dem im heimischen Wohnzimmer vorziehen.
Nach einer Weile wurde das Schluchzen leiser, und Mutter Wiegand beruhigte sich wieder. Dann stand sie abrupt auf.
»Tut mir leid, ich geh jetzt schlafen«, schniefte sie und verschwand aus dem Wohnzimmer, wo eine verwirrte Charlotte zurückblieb.
Bergheim fischte kauend eine Erdnuss aus der Sofaritze.
DREI
»Wir haben einen Zeugen, der unsere Tote am Friedrich-Ebert-Platz gesehen haben will«, sagte Bremer, als Charlotte am Mittwochmorgen die KFI 1 betrat.
»Ach. Wann?«
Bremer lächelte vielsagend. »Am späten Sonntagabend. Genauer gesagt: gegen Mitternacht.«
»Das ist gut«, sagte Charlotte. »Dann ist sie vielleicht von dort mit der Bahn in die Stadt gekommen. Wo wohnt der Typ?«
»Am Friedrich-Ebert-Platz.«
»Oh.« Charlotte klopfte Bremer auf die Schulter. »Mach einen Termin.«
»Hab ich schon, wir können gleich los. Der ist Rentner und erwartet uns.«
»Bestens.«
In diesem Moment ging Ostermanns Bürotür auf, und ihr zukünftiger Exchef trat auf den Flur.
»Dachte ich’s doch, dass ich Ihre Stimme gehört hatte«, sagte er.
Charlotte, die reflexartig die Flucht hatte ergreifen wollen, blieb stehen und strahlte Ostermann an.
»Können wir uns nachher unterhalten? Wir haben einen wichtigen Hinweis zu unserer Toten. Sie wissen schon, der vom Kröpcke.«
Ostermann sah sie an, als wäre sie soeben einem Raumschiff entstiegen.
»Frau Wiegand«, sagte er dann vorwurfsvoll. »Ich weiß, von welcher Toten Sie sprechen. Wir haben im Moment nur die eine, oder … verschweigen Sie mir was?«
»Nein. Klar«, stotterte Charlotte und wedelte mit ihrem Kaffeebecher herum, als wolle sie mit Ostermann anstoßen.
»Nun kommen Sie schon.« Ostermann winkte sie heran.
»Also«, Charlotte warf Bremer, der verdattert von einer zum anderen glotzte, einen Blick zu und drückte ihm den halb vollen Kaffeebecher in die Hand, »du hast es gehört, kurze Verzögerung. Bin gleich wieder da.«
In seinem Büro, das Charlotte nur selten betrat, setzte sich Ostermann hinter seinen schweren Schreibtisch aus Mahagoniholz und faltete die Hände auf der leeren Schreibtischunterlage. An der Wand hing ein Poster, das ihn mit seiner Frau, Tochter und zwei Enkeln am Weißenhäuser Strand zeigte. Jedenfalls sagte das der Schriftzug am unteren Rand.
Charlotte blickte sich verstohlen um. Ihr Noch-Chef hatte noch keine Anstalten gemacht, seine Habseligkeiten zu packen. Auf der Fensterbank stand immer noch die üppige Anthurie, die Frau Kaiser hingebungsvoll pflegte. Und sein Lieblingsbuch über berühmte Kriminalfälle im Nachkriegsdeutschland, das er – Charlotte hatte ihn einmal dabei beobachtet – manchmal liebevoll streichelte, stand wie immer an seinem angestammten Platz neben der Holzstatue des afrikanischen Kriegers, der, seinen Speer fest umklammert, gedankenvoll in die Ferne blickte.
»Setzen Sie sich, Frau Wiegand.« Ostermann wies auf den bequemen Besucherstuhl und räusperte sich. »Offensichtlich haben Sie bis jetzt nicht herausfinden können, um wen es sich bei der Toten am Kröpcke handelt. Das ist bedauerlich, denn …«, er klopfte wieder auf seine Armbanduhr, »Sie wissen ja, dass die Zeit drängt.«
»Eben«, stimmte Charlotte zu, »wir haben einen wichtigen Zeugen.«
»Tatsächlich? Das lässt hoffen.« Er nahm seine Brille ab. »Haben Sie schon mit Dr. Schweighardt gesprochen?«
»Äh, ja«, log Charlotte, »ich hab mir da was überlegt, aber …«, sie beugte sich vor, »das verraten wir Ihnen nicht.« Sie zwinkerte ihm zu.
Ostermanns Mundwinkel zuckten. »So, so«, schmunzelte er und wienerte mit einem Taschentuch seine Brille. »Machen Sie sich nur nicht zu viele Umstände damit.« Er griente Charlotte an und setzte seine Brille wieder auf. »Na ja, ich will Sie dann gar nicht weiter aufhalten. Sie haben ja einen wichtigen Termin, wie Sie sagen.«
»Ach ja.« Charlotte sprang auf und tat, als hätte sie das glatt vergessen, als ginge ihr nichts anderes im Kopf herum, als die Abschiedsfeier ihres Noch-Chefs vorzubereiten.
Wahrscheinlich dachte Ostermann, dass die gesamte KFI 1 sich mit nichts anderem beschäftigte, mutmaßte Charlotte. Auf jeden
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