Die Tote
denke, damit ist alles gesagt.« Er drehte sich um und ging.
Kaum hatte er die Tür hinter sich geschlossen, begann verlegenes Stühlerücken.
»Tja, also, ich werde mich dann mal an den Computer setzen … äh.« Bremer machte sich aus dem Staub.
Schliemann und Hohstedt folgten hastig. Charlotte hämmerte wieder mit ihrem Bleistift auf dem Tisch herum, während Maren sie schweigend ansah.
»Genau das hab ich befürchtet«, sagte Charlotte. »Ist ihm nicht wichtig genug, dem Herrn. Jedenfalls nicht so, wie die paar beschriebenen Seiten, die ihm noch in seiner Aktenmappe fehlen. Elender Bürokrat.«
Maren stand auf und legte ihrer Chefin die Hand auf die Schulter. »Stimmt, aber vielleicht hat er ja ausnahmsweise mal recht, und da waren zwei junge Leute einfach nur völlig hilflos.«
Charlotte hob langsam den Blick. »Glaubst du das?«
Maren zuckte mit den Schultern. »Es wäre auf jeden Fall tröstlich.«
»Na, dann glaub eben dran«, sagte Charlotte und stand auf. »Mir will das einfach nicht gelingen.«
Charlotte saß vor ihrem Computer und haderte mit der Ignoranz ihrer Mitmenschen im Allgemeinen und der ihres Chefs im Besonderen. Sie hatte den Verdacht, dass Ostermann sie nur von diesem toten Säugling ablenken wollte. Bloß jetzt keine aufsehenerregenden Fälle mehr. Er wollte einen sauberen Abgang. Was auch immer er darunter verstand. Der Fall, dessen Bericht sie noch abliefern sollte, war längst ad acta gelegt. Ein vermisster junger Mann, der sich nach dreiwöchigen, ziemlich aufwendigen Ermittlungen wieder eingefunden hatte. Das hatte durchaus noch Zeit. Na gut, Charlotte war noch nie besonders scharf aufs Berichteschreiben gewesen und brauchte für den einen oder anderen schon mal etwas länger. Aber wen interessierte das schon? Nur Ostermann. Dieser kleinkarierte Spießer machte jetzt Inventur und wollte, dass die glänzende Bilanz seiner Dienstzeit als Leiter der KFI 1 auf ewig fleckenlos blieb.
Dabei verdankte er diesen Glanz ausschließlich seinem Team. Nur zwei ungeklärte Mordfälle in zwölf Jahren – einen davon hatte Charlotte bearbeitet. Es war der einzige Fall, der bisher nicht zu einer Anklage geführt hatte. Ein erfolgreicher Koch hatte seine Frau umgebracht, um sich ihr Restaurant unter den Nagel zu reißen. Leider hatte Charlotte ihm die Tat nicht nachweisen können. Die Frau hatte nachts einen Einbrecher überrascht, der sie erschlagen hatte. So ähnlich wie in diesem alten Schinken mit Grace Kelly, oder war das Doris Day gewesen? Nur, dass der Anschlag in diesem Fall gelungen war, und nicht wie im Film, die Frau den Einbrecher überwältigt hatte.
Charlotte argwöhnte manchmal, dass solche Filme manche Menschen nur auf dumme Gedanken brachten. Das Alibi des Ehemannes war wasserdicht, aber Charlotte hatte immer gewusst, dass er den Einbrecher bezahlt hatte. Sie hatte bloß nicht herausfinden können, womit. Wenn es Geld war, dann war die Herkunft unbekannt. Aber man konnte Menschen auf vielerlei Weise bezahlen, und Charlotte hatte den Mann wissen lassen, dass sie das Ganze niemals ruhen lassen würde. Er hatte sie nur versonnen angesehen und wissend gelächelt. Die Ermittlungen hatten damals nicht genügend Anhaltspunkte für eine Anklage geliefert.
Charlotte fuhr immer noch hin und wieder zu seinem Restaurant im Zooviertel. Nicht als Gast, sie ließ sich nur sehen. Drehte eine Runde, ging langsam an den Tischen vorbei, musterte die Gäste, sorgte dafür, dass sie gesehen wurde, und ging dann wieder. Sie hatte sich geschworen, für diesen Mann ein ewiger Stachel im Fleisch zu bleiben, wenn er schon ungeschoren davonkam.
Diesen Bericht jedenfalls hatte sie pünktlich abgeliefert. Sie kramte ihn ab und zu hervor, so auch jetzt, und blätterte darin, hoffte wohl auf späte Erleuchtung. Aber damals hatte sie das gleiche Problem mit ihrem Spießerchef gehabt. Er hatte dem Mann einfach geglaubt, weil er ihm glauben wollte, das machte weniger Mühe, als sich in den Ermittlungen festzubeißen. Und der Staatsanwalt hatte sich seiner Meinung angeschlossen.
Nur Charlotte wollte sich nicht bekehren lassen. Selbst Bergheim hatte sie nicht überzeugen können. Hatte was von »hinnehmen müssen« erzählt. Aber hinnehmen können hatte noch nie zu Charlottes Stärken gezählt, wenn sie etwas als ungerecht empfand. Wie auch immer, wer wusste schon, welche Möglichkeiten ihr die Zukunft noch in die Hände spielen würde? Aufgeben würde sie nicht.
Und bei diesem toten Säugling und
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